Payr, Fabian

70 Etüden für Finger-Fitness

Grundtechniken der Gitarre trainieren mit Musik von der Renaissance bis zur Moderne, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ricordi, Berlin 2017
erschienen in: üben & musizieren 6/2017 , Seite 59

Fabian Payr legt einen umfangreichen Ergänzungsband zu Finger-Fitness für Gitarristen vor. Dieser erste Band hatte technische Themen auf einen motorischen Kern reduziert, der neue Band liefert nun passende mu­sikalische Zusammenhänge zu den Themen Spreizfähigkeit und Dehn­arbeit der Finger, Aufschlags- und Abzugsbindungen, Wechselschlag und Tonleitern, Akkordzerlegungen, Melodie im Arpeggio und Mehrstimmigkeit. Der Schwierigkeitsgrad ist leicht bis mittelschwer.
Die Etüden stammen aus diversen Sammlungen von z. B. Dionisio Aguado, Matteo Carcassi, Fernando Carulli, Napoleon Coste, Mauro Giuliani, Josef Kaspar Mertz, Fernando Sor und Francisco Tárrega; dazu Auszüge aus Kompositionen (Bach, Sanz, Rameau) oder ganze Werke (Dowland, Kapsberger, Krieger), die man nicht ohne Weiteres dem Kanon der Etüdenliteratur zurechnen würde. Und schließlich hat Fabian Payr auch auf eigene Stücke zurückgegriffen.
Diese Mischung ist originell und verhindert stilistische Einseitigkeit. Durch die Kombina­tion eigener und fremder Kompositionen kann Payr die Lücken, die es im bisher vertrauten Repertoire gibt, nahtlos schließen. Der Titelzusatz „von der Renaissance bis zur Moderne“ ist damit allerdings kaum erfüllt, denn als Musik der Moderne kann man Payrs Stücke, so gut klingend und passend sie in diesem Kontext sind, nicht durchgehen lassen.
Jedem Kapitel ist eine Erklärung vorangestellt, die wichtige Aspekte zur Ausführung beinhaltet. Schaut man genau hin, so fallen einige Ungereimtheiten auf: In der Mäusehochzeit ist in Takt 4 die Bassstimme mit einer Viertelnote plus Achtelpause zu notieren anstatt der punktierten Viertel, die so nicht realisierbar ist. In Takt 13 hat sich eine falsche Lagenbezeichnung eingeschlichen (IV). Im Andante ist die Aufschlagsbindung in Takt 15
(d-fis) auf der ersten Zählzeit deplatziert, auf der Begleit-CD ist sie auch nicht wie notiert ausgeführt. Das Andantino weist eine falsche Lagenbezeichnung auf (CVIII statt IX).
Nicht konsistent erscheint die  Verwendung der Termini „Zupfmuster“ oder „Zupfvariationen“, wenn auf der anderen Seite ein so sorgfältig ausformuliertes ­Kapitel wie die Einführung „Anschlagshand“ steht. Und auch dass von der „italienischen Erstausgabe“ von Giulianis op. 1 die Rede ist, wohingegen diese Erstausgabe 1812 in Wien erschien, dürfte demjenigen, der gewinnbringend mit dieser Ausgabe arbeitet, möglicherweise egal sein. Es zeigt allerdings eine gewisse editorische Unbekümmertheit, die dem Qualitätsanspruch dieses Bandes nicht entspricht, zumal die aufgeführten und weitere Makel eine leichte Beute für einen erfahrenen Lektor darstellen. Ansonsten ist das Druckbild klar und großzügig.
Dennoch: Für den Unterricht ist dieser sorgfältig zusammengestellte Band eine sinnvolle und wertvolle Ergänzung und wird sich in der Praxis bewähren.
Andreas Stevens-Geenen