Spiekermann, Reinhild

Kammermusik 55+. Menschen zueinander bringen

Empirische Untersuchung und Praxisworkshop, unter Mitarbeit von Jonathan D. Misch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2017
erschienen in: üben & musizieren 6/2017 , Seite 11

Die kammermusikalische Praxis von älteren Laien ist ein bislang fast unerforschtes Gebiet. Reinhild Spiekermann, Professorin für Instrumentalpädagogik, Klavierdidaktik und -methodik an der Hochschule für Musik Detmold, widmet sich diesem Feld in ihrer Publikation unter der leitenden Frage: „Wie wird kammermusikalisches Musizieren von Amateuren im Alter von 55 Jahren und älter praktiziert?“
Die Grundlage der Publikation bildet ein Musizier- und Begegnungswochenende für erwachsene AmateurmusikerInnen „55+“, das die Hochschule für Musik Detmold im November 2015 durchführte. In diesem Zusammenhang sammelte die Autorin mit ihrem Team Erfahrungen rund um Organisation und inhaltliche Gestaltung. In der Publikation wer­den diese Erfahrungen den LeserInnen durch ausführliche Reflexionen der einzelnen Projektbausteine sowie durch Auszüge aus dem Feedback der Teilnehmenden zugänglich gemacht. So können die Erfahrungen auch für zukünftige Projekte genutzt werden.
Das Musizier- und Begegnungswochenende wurde mit einer Studie zur kammermusika­lischen Praxis der Teilnehmer verbunden, die einen explorativen, mehrperspektivischen Zugang verfolgte. Alle 24 TeilnehmerInnen der Veranstaltung füllten einen Fragebogen aus, 19 davon wurden in leitfadengestützten, narrativen Interviews befragt. Die Studie nutzt also eine Kombination aus quantita­tiven und qualitativen Forschungsmethoden. Auch wenn die Ergebnisse aufgrund der geringen Teilnehmerzahl nicht repräsentativ für alle kammermusikalisch aktiven älteren Laien sein können, geben sie doch interessante Einblicke in die Sichtweise der Befragten.
Der Fragebogen umfasste Themenbereiche wie zum Beispiel Beginn und Dauer des Inst­rumentalspiels bzw. Gesangs, Bedeutung des gemeinsamen Musizierens, Rolle der Improvisation im Unterricht, Strategien im Umgang mit (altersbedingten) Schwierigkeiten beim Musizieren usw. Dabei zeigten sich interessante Ergebnisse, beispielsweise dass rund die Hälfte der TeilnehmerInnen im Laufe ihres Lebens von einem Instrument zu einem anderen „Hauptinstrument“ wechselte. Solche Erkenntnisse helfen, die musikalischen Biografien älterer AmateurmusikerInnen besser nachzuvollziehen.
Die Interviewergebnisse werden in der vorliegenden Publikation umfangreich von Jonathan D. Misch beschrieben und dabei in Form von zusammenfassenden, reflektierenden Texten sowie als Zitate aus den Interviews präsentiert. Dabei wird – im Sinne des qualitativen Ansatzes – insbesondere die indi­viduelle Perspektive der Befragten deutlich. Die Ergebnisse zeigen eine große Bandbreite in den musikalischen Werdegängen der AmateurmusikerInnen und eine Vielfalt kammermusikalischer Praxis. Gegliedert sind die Ergebnisse in Themenfelder wie etwa Unterrichtsnahme, Kammermusikpraxis, Auftritte, Qualitätsanspruch und Perfektionismus.
Die Veröffentlichung schließt mit Handlungsempfehlungen für die Instrumentalpädagogik, die darauf abzielen, die Zielgruppe der älteren Amateure zukünftig verstärkt in den Blick zu nehmen. Damit gibt die Publikation wertvolle Impulse, die über die eigentliche Studie hinausreichen. Insgesamt können die beschriebenen Erfahrungen und Studienergebnisse sowohl Lehrkräften Gedankenanstöße für den Unterricht mit älteren Laien geben als auch Veranstaltern Anregungen für zukünftige Angebote speziell zur „Kammermusik 55+“ vermitteln.
Silvia Müller