Dilg, Jenny Marielle
„Du bist doch die Lehrerin!“
Perspektivwechsel: Gespräche mit meinen SchülerInnen
In der traditionellen Musikpädagogik wird der lehrenden Person eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Sie ist es, die für den Erfolg oder Misserfolg der Lernenden verantwortlich ist. Doch wie sieht es auf der anderen Seite aus?
Handelt es sich bei den SchülerInnen tatsächlich nur um Fässer, die befüllt werden müssen?1 Oder kann Musikunterricht auch subjektorientiert2 erfasst werden? Ist es sinnvoll oder lehrreich, den Fokus von den Lehrenden auf die Lernenden zu verschieben? Was passiert, wenn die SchülerInnen, die zumeist schweigsam den Anweisungen der Lehrperson folgen, aufgefordert werden, ihre Sichtweise zu schildern?
Eben dies soll in diesem Beitrag dargestellt werden. Subjektorientiert bedeutet, dass ich meine SchülerInnen aus der Freien Jugendorchesterschule Berlin und der Notenkind Music Academy Berlin zu ihren Empfindungen hinsichtlich ihres Unterrichts befragt habe. Hier sollen nun die SchülerInnen zu Wort kommen, es soll nicht viel interpretiert, sondern einfach ein kleiner Einblick in den Unterrichtsalltag geworfen werden.
Da ich in einer ersten Herangehensweise versucht habe, viele Perspektiven mit einzubeziehen, haben sich 18 Kurzinterviews ergeben. Diese habe ich im Sinne der Grounded Theory3 nach Themen geordnet. Titel für diese Themen sollen, ähnlich wie bei Pierre Bourdieu,4 ein Lesen und Verständnis erleichtern. Die Interviews sollen keine repräsentative Studie darstellen, sondern als Beispiel einer Wahrnehmung gelten.5
Zur Methode
Länge der Interviews und Altersspanne
Beim verwendeten Material handelt es sich um Transkriptionen von Interviews, die zwischen einer und zehn Minuten betragen. Die Altersspanne der Befragten liegt zwischen vier und 13 Jahren und ist damit recht groß, sodass bei den unterschiedlichen Formulierungen auf die jeweiligen Entwicklungsphasen zu achten ist. Da Menschen gleichen Alters jedoch auch sehr große Unterschiede hinsichtlich der sprachlichen Entwicklung und Introspektion haben können, möchte ich darauf verzichten, bei jeder Aussage auf das Alter zu verweisen. Auch sehr kleine Kinder konnten in den Interviews sehr klare Aussagen formulieren und diese sollen nicht aufgrund ihres Alters weniger Gewichtung bekommen.
Setting
Die Interviews mit meinen SchülerInnen haben kurz vor oder kurz nach dem Unterricht stattgefunden, zumeist ohne die Anwesenheit der Eltern, aber in manchen Fällen auch in ihrer Anwesenheit. Diesem Punkt ist ebenfalls Aufmerksamkeit zu schenken, da die An- oder Abwesenheit der Eltern, der Befragungszeitpunkt, die Länge der vorherigen Zusammenarbeit oder Ähnliches Variablen sind, die möglicherweise eine erhebliche Auswirkung auf den Verlauf des Interviews haben.
Befragungsmethode
Bei den Interviews habe ich die qualitative Befragungsmethode des Leitfadeninterviews nach Günter Mey verwendet.6 Hierbei wird eine allgemeine Eingangsfrage gestellt: „Was ist dir in deinem Musikunterricht wichtig?“ und der oder die Interviewte soll dazu frei assoziieren. Gegebenenfalls habe ich Nachfragen gestellt, die die Personen zum Weiterreden animieren sollten, wie etwa: „Was genau gefällt dir im Unterricht und was nicht?“, „Warum hast du dein Instrument gewählt?“
Spontane Interviews/gestellte Situation?
Die offene Eingangsfrage, die in den meisten Fällen vorher nicht angekündigt war, und die offene Gesprächssituation waren ein Versuch, ein möglichst authentisches Gespräch herzustellen. Leider ist die Verwendung eines Aufnahmegeräts eine erhebliche Hürde, da sich manche InterviewpartnerInnen schämen, ihren Gedanken bei laufendem Aufnahmegerät freien Lauf zu lassen. Auch passierte es, dass wirklich interessante und relevante Details kurz nach dem Ausschalten des Aufnahmegeräts preisgegeben wurden.
Interviews nach Themen
Nun soll den GesprächspartnerInnen7 das Wort überlassen werden. Ich habe die Kurzinterviews nach Themen sortiert, um aus einer soziologischen Perspektive eine Idee davon zu bekommen, was den Lernenden im Unterricht wichtig ist. Eine tiefergehende Interpretation wäre Aufgabe eines weiteren Beitrags. Die von mir gewählten Themenzuordnungen sind jene, die mir nach Durchsicht des Materials als besonders relevant erschienen.
1 Ich nehme Bezug auf ein Zitat von Heraklit, welches im Hauptgebäude der Universität der Künste Berlin an der Wand hängt: „Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.“
2 zu subjektorientierter Pädagogik siehe Gisela Ulmann: Über den Umgang mit Kindern. Orientierungshilfen für den Erziehungsalltag, Berlin 1999.
3 Anselm L. Strauss: Grounded theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Weinheim 1996.
4 vgl. Pierre Bourdieu: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz 1997.
5 zu Verallgemeinerung in qualitativer Forschung: Johannes Geffers: „Alles typisch? Typus, Typologie, Typen der Verallgemeinerung, empirische Typenbildung und typische Möglichkeitsräume“, in: Lorenz Huck et al. (Hg.): „Abstrakt negiert ist halb kapiert“. Beiträge zur marxistischen Subjektwissenschaft, Marburg 2008, S. 349-368.
6 vgl. Günter Mey: Qualitative Forschung. Analysen und Diskussionen. 10 Jahre Berliner Methodentreffen, Wiesbaden 2014.
7 Die GesprächspartnerInnen haben sich selbst Pseudonyme ausgesucht.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2017.