© Marion Coers

Eikmeier, Corinna

Ungewohnte Positionen

Bewegungsqualität und Musizierpraxis: Einladung in ein fiktives Forschungslabor

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , Seite 29

Die folgenden Praxisbeispiele sind eine Einladung, das eigene Musizie­ren zu erforschen. Sie sind einem ­fiktiven Forschungslabor entnommen, in dem Corinna Eikmeier die Zusammenhänge zwischen der Be­wegungsqualität und der improvisatorischen Handlungsweise erforscht hat. Die Aufgaben sind von der Feldenkrais-Methode inspiriert und werden auf die drei Handlungsfelder Improvisation, Interpretation und Komposition bezogen.

Interpreten können an der Perfektion ihrer gewünschten Interpretation feilen. Improvisationsmusikerinnen bewegen sich an der Kante des Unvorhersehbaren und haben weniger Möglichkeiten zur Kontrolle ihrer Handlungen. Komponistinnen können planen und ordnen, sind aber auf geniale Einfälle angewiesen. Die ersten beiden Gruppen bringen gleichermaßen musikalische Strukturen im gegenwärtigen Moment zum Klingen, während Komponisten die Möglichkeit haben, über eine lange Zeitspanne ihre Kompositionen bis zur Zufriedenheit zu verändern.
Die folgenden Praxisbeispiele beziehen sich zunächst auf das Problem, dass Interpreta­tion und Improvisation live gespielt auf der Grenze zwischen Kontrolle und Freiheit in der einmaligen Chance des Gelingens oder der einmaligen Gefahr des Misslingens entstehen. Improvisation steht in gewisser Weise als Handlungsform zwischen Interpretation und Komposition. Der Interpret improvisiert in fei­nen Nuancen des Interpretationspielraums und der Komponist ist wie der Improvisator auf unvorhergesehene Ideen angewiesen. Allerdings muss er für diese nicht in der Arena der Gegenwart eine endgültige Lösung finden. In einer Improvisationssituation lauert das Unvorhersehbare auf die Improvisatorin, die die Fähigkeit mitbringen muss, in Echtzeit Lösungen für improvisatorische Prob­leme zu finden.
Die nachstehenden Übungen sind aus drei Kontexten heraus entwickelt worden:
1. Als Feldenkrais-Practitioner brauchte ich Material, um den InterpretInnen die Erkenntnisse aus den Feldenkrais-Lektionen am Inst­rument zugänglich werden zu lassen und ihnen Ideen für das eigene Üben mitzugeben.
2. In einem Forschungsprojekt habe ich untersucht, wie die Bewegungsqualität in Verhältnis zur improvisatorischen Handlungsweise steht. Hierzu wurden die Übungen für qualitative Experimente als Versuchsanweisungen ausgearbeitet.1
3. Die Übungen sind Anregungen für das eigene Erforschen der improvisatorischen Mög­lichkeiten.

Muskelspannung

Der Käfer
– Vorübung
Sitzen Sie auf der vorderen Kante des Stuhls und richten Sie die Augen auf die Horizonthöhe aus. Stellen Sie sich vor, dass Sie wahlweise einen Käfer an der Wand, ein Boot am Horizont oder auch gerne etwas anderes beobachten, welches sich sehr langsam von rechts nach links bewegt. Drehen Sie den Kopf langsam und beobachten Sie Ihr Objekt mit den Augen. Machen Sie die Bewegung sehr leicht und nur so weit, wie es wirklich ohne Anstrengung möglich ist. Spüren Sie dabei, wie sich die Bewegung vom Nacken durch die Wirbelsäule fortsetzt.
– Umsetzung mit Instrument oder Stimme
Nehmen Sie nun Ihr Instrument zur Hand und beginnen Sie, wieder den Kopf zu bewegen und Ihren imaginären Gegenstand zu beobachten. Wenn Sie die Bewegung in Gang gesetzt haben, beginnen Sie zu improvisieren. Bläser und hohe Streicher sollten die Übung nur mit Augenbewegungen ausführen, da die Kopfbewegungen das Spiel zu stark verändern.

1 Das Forschungsprojekt wurde 2016 als Dissertationsprojekt an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien abgeschlossen. Die Dissertation von Corinna Eikmeier ist unter dem Titel Bewegungsqualität und Musizierpraxis. Zum Verhältnis von Feldenkrais-Methode und musikalischer Improvisation im Musikverlag Burkhard Muth erschienen. Die Versuchsanordnungen können vollständig unter www.forschung.corinna-eikmeier.de abgerufen werden. Eine Zusammenfassung der Dissertation unter dem Titel „Improvisieren mit einem improvisierenden Körper“ ist nachzulesen in: Reinhard Gagel/Matthias Schwabe (Hg.): Improvisation erforschen – improvisierend forschen. Beiträge zur Exploration musikalischer Improvisation, Bielefeld 2016.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2017.