Bradler, Katharina

Hast du noch alle Sinne beisammen?

Methoden und Materialien für kreatives musikalisches Tun im Instrumentalunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , Seite 32

Sinnlich wahrnehmen, Fantasie anregen, kreative Zugänge und Verbindungen zur Musik entwickeln, Musik als Kunst erleben: das sind wichtige Aspekte und Ziele von Musizierunterricht. Über die Beschäftigung, einen Finger vor den anderen zu setzen, geraten diese im Instrumentalunterricht jedoch bisweilen in den Hintergrund.

Die folgenden Praxisbeispiele möchten dazu ermuntern, Musik vielfältig wahrzunehmen, mehrere Sinne anzusprechen und somit kreatives Potenzial bei SchülerInnen freizulegen sowie ästhetische Erfahrungen1 zu ermöglichen. Eine Garantie für das Gelingen kann es freilich nicht geben. Die Beispiele verstehen sich nicht als Rezept, sondern lediglich als Anregungen, um den genannten Erfahrungen den Boden zu bereiten.

Zu Bildern improvisieren

Prinzipiell können jegliche Bilder (Fotos, Malerei, Skulpturen o. Ä.) Ausgangspunkte für eine freie Improvisation sein. Beispielhaft stelle ich Eric Carles Bilderbuch Ich hab die Geige klingen sehn vor. Es kann für alle Inst­rumente als Vorlage dienen und lädt dazu ein, als grafische Partitur gelesen zu werden. Am Ende kann daraus eine Komposition entstehen.
Der Bildergeschichte vorangestellt ist ein „schwarzer“ Geiger, der sich verbeugt mit den Worten: „Meine Damen und Herren! Ich sehe ein Lied, ich male Musik, ich höre Farbe, ich berühre den Regenbogen und die tiefe Quelle im Boden. Meine Musik erzählt, meine Farben tanzen. Hören Sie zu und sehen Ihr eigenes Lied!“2
Mit diesem Vorspann stimmt der Protagonist bereits auf eine mehrere Wahrnehmungsebenen umfassende Rezeption ein. Aus der Geige „tönen“ kleine bunte Punkte, die die SchülerInnen z. B. als Staccato-Motiv deuten können (und natürlich niemals müssen!). Auch lassen sie durch ihre Position ein Oben und Unten erkennen, was musikalisch in hohe und tiefe Töne umgesetzt werden kann – ähnlich wie die Farben, die durch ihre helle oder dunkle, milde oder kräftige Farbgebung zur Entwicklung entsprechender Klangqualitäten am Instrument Anreize geben können.
Stets sind unterschiedliche Sinne angesprochen und verwoben: Die Kinder assoziieren mit den dargestellten Farben und Formen Klänge, die von Seite zu Seite miteinander motivisch verknüpft sind. So können Halbmonde z. B. zu Legatobögen inspirieren; eine Träne steht vielleicht für einen traurigen Ausdruck, der sich jedoch schon bald wandelt, weil die Träne in einem weiteren Bild zu einer Knospe mutiert. Diese erblüht später in einem Feuerwerk an Formen und Farben – eine vielschichtige Inspirationsquelle etwa für schnelle, laute Tonfolgen mit großem Ambitus.

1 zum Begriff der ästhetischen Erfahrung siehe Ursula Brandstätter (2013): www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-erfahrung (Stand: 24.11.2015).
2 Eric Carle: Ich hab die Geige klingen sehn, Hildesheim 2009, ohne Seitenangabe. Leider ist das Buch momentan vergriffen und nur antiquarisch erhältlich.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2016.