Keden, Helmke Jan / Peter Moormann

„… funktioniert auch ohne Bilder“

Überlegungen zu pädagogischen Umgangsweisen mit Filmmusik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2016 , Seite 18

In der Musikpädagogik finden sich je nach Handlungsfeld ganz unterschiedliche Beweggründe und Vorgehensweisen, wenn es um den Umgang mit Filmmusik geht. Dabei können die Vorstellungen, was unter dem Begriff Filmmusik, auch in Abgrenzung zur “klassischen Musik”, verstanden wird, bei kulturellen Akteuren, Musikern und Rezipienten sehr unterschiedlich sein.

Wirft man einen Blick auf verschiedene pädagogische Handlungsfelder, in denen mit Filmmusik gearbeitet wird, so scheinen die dort vorherrschenden Haltungen und Umgangsweisen von individuellen Erfahrungen mit diesem Gegenstand geprägt zu sein. Dies ist jedenfalls der nicht repräsentative Eindruck, den wir im Rahmen einer kleinen ­Umfrage unter ProtagonistInnen aus Laien­ensemb­les, Konzertpädagogik sowie durch Auswertungen von Fachzeitschriften gewonnen haben.

Positionen außerschulischer Musikpädagogik

Beispielhaft für den Laienmusikbereich sei Rafael Behrens, Leiter des Jungen Sinfonie­orchesters Hilden, genannt, für den Filmmusik bei seiner Arbeit mit den jugendlichen OrchesterinstrumentalistInnen eine wichtige Rolle spielt:1 „Ich nehme immer mindestens ein Filmmusikstück in unsere Programme. Das hat sich bewährt. Filmmusik ist meist melodisch, sie ist harmonisch eingängig und in der Regel sehr gut orchestriert. Wenn ich nur klassische Sachen mache, dann langweilen sich viele Bläser. Also brauche ich Stücke, bei denen alle etwas zu tun haben.“ Häufig werde von den jungen Ensemblemitgliedern an ihn auch der Wunsch herangetragen, Filmmusik aus aktuellen Filmen mit dem Orchester zu spielen. Insbesondere die Musik der großen Blockbuster sei handwerklich gut gemacht und die „herunterarrangierten“ Fassungen für Laienorchester bereiteten allen Beteiligten viel Spaß.
Das Niveau der Filmmusik sei sehr unterschiedlich, grundsätzlich würde das Genre die musikalische Probenarbeit, so Behrens, sehr vereinfachen: „Durch das Thema des Films haben alle bereits eine bestimmte emotionale Vorstellung. Wenn ich dagegen eine Schubert-Sinfonie einstudiere, dann muss ich erst einmal vermitteln, was ich empfinde oder in welche Zeit das Stück einzuordnen und wie das Ganze zu interpretieren ist. Da dauert es schon mal länger, bis die Jugendlichen mit der Stelle eine bestimmte Emotion verbinden. Und zudem ist es ein wenig mühsamer.“
Für Behrens ist dabei die Kenntnis des Films, dessen Musik einstudiert wird, nicht unbedingt vonnöten. Das Genre scheint solch spezifische Eigenschaften aufzuweisen, dass die Musik auch ohne Filmprogramm funktioniert: „Ich habe einmal eine Musik geprobt, deren dazugehörigen Film die Jugendlichen nicht kannten: Zorro. Trotzdem fanden alle Orchestermitglieder die Musik großartig, das funktionierte auch so.“ Ein komplettes Konzertprogramm aus Filmmusik würde der Dirigent allerdings nicht angehen. Zum einen sei Filmmusik dafür nicht ergiebig genug: „Die Art und Weise, wie Instrumente eingesetzt werden, ist bei Filmmusik schon häufig gleich – z. B. stellen Trompeten meistens etwas Heroisches dar. Und wenn man das dann fünf- oder sechsmal am Abend hört, wird es für alle Beteiligten langweilig. Bei Filmmusik sind halt das emotionale Potenzial und die Motivation sehr hoch, lehrreicher ist allerdings eher die nicht filmische, also die klassische Musik.“ Zum anderen eigne sich Filmmusik sehr gut als Einstieg und Motivator für klassische Musik: „Wir haben da auch schon einen pädagogischen Auftrag. Je weniger Bildungsbürgertum es gibt, desto eher bin ich bereit, Filmmusik einzustudieren. Deswegen mische ich ja auch die Programme.“ Das hohe Motivationspotenzial der Filmmusik lässt sich für Rafael Behrens nicht nur im Ensemblebereich, sondern auch im Bereich der Instrumentalpädagogik erkennen: „Früher hat man im Instrumentalunterricht Etüden und klassische Werke einstudiert. Heute wird dann gerne Filmmusik genommen. Wenn ich durch die Musikschule gehe, höre ich manchmal aus jedem Zimmer eine bekannte Filmmusik.“
Filmmusik als „niederschwellige“2 Zugangsmöglichkeit für ein junges Publikum zu nutzen, scheint auch in einem anderen musikpädagogischen Handlungsfeld, der Konzertpädagogik, eine große Rolle zu spielen. Für die freiberufliche Konzertpädagogin Stephanie Riemenschneider birgt die Filmmusik für die strategische Gewinnung neuer HörerInnen in den Konzertsälen ein nicht zu unterschätzendes Potenzial.3 Dabei präferiert sie in ihren Projekten aber gerne ältere Filmmusik, die ihrer Einschätzung nach nicht so sehr den plakativen und etablierten Hörgewohnheiten der Hollywoodstandards aktueller filmmusikalischer Werke entspräche. Methodisch verfolgt die Konzertpädagogin „keine Analyse, z. B. hinsichtlich der Leitmotivtechnik etc., sondern eher die Frage: Wie und warum wirkt Filmmusik auf mich, wie wird mit Stimmungen gearbeitet, um mich zu beeinflussen?“

Filmmusik ist meist ­melodisch, sie ist harmonisch eingängig und in der Regel sehr gut orchestriert.

Während für Stephanie Riemenschneider die Bedeutung von Filmmusik stetig zunimmt, wird für Ariane Stern, Konzertpädagogin der Düsseldorfer Tonhalle, die Thematisierung von Filmmusik häufig durch die Programmplanung der für die Konzerthäuser zentralen Abonnement-Konzerte erschwert:4 „Das hat außermusikalische Gründe. Und da ist es bei der Düsseldorfer Tonhalle ganz klar so, dass wir das eben so explizit nicht machen. Wir haben eine große Symphoniekonzert-Reihe sowie einige Sonderkonzerte mit unserem Orchester, in denen jedoch aus der Tradition heraus Filmmusik nicht auftaucht.“

1 Interview mit Rafael Behrens, geführt am 17. Juni 2016, Aufnahme im Besitz der Verfasser.
2 Zur Idee der Niederschwelligkeit vgl. Lee Higgins: Community Music in Theory and Practice, New York 2012.
3 Interview mit Stephanie Riemenschneider, geführt am 28. Juni 2016, Aufnahme im Besitz der Verfasser.
4 Interview mit Ariane Stern, geführt am 30. Juni 2016, Aufnahme im Besitz der Verfasser.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2016.