Gardel, Carlos

Für Gitarre

bearb. von Dietmar Kres

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Doblinger, Wien 2015
erschienen in: üben & musizieren 5/2016 , Seite 59

Zu den Legenden, die sich um Carlos Gardel ranken, gehört auch die seiner Geburt. Kam er um 1884 in Uruguay oder 1890 in Südfrankreich zur Welt? Auf alle Fälle gelangte er in den frühen 1890er Jahren nach Buenos Aires, lernte dort den Tango kennen, wuchs in ärmlicher Umgebung auf, fand jedoch schnell seinen Weg als Sänger. Zunächst stand er mit folkloristischen Liedern in der Tradition der Gauchosänger, bis er 1917 mit Mi noche triste (Meine traurige Nacht) ein neues Genre schuf: Tango-canción, gesungener Tango, mit dem er Musikgeschichte schrieb. In den 1920er Jahren tourte Gardel durch Europa, wurde der erste internationale Tangostar und der Tangosänger. Er war die Ikone des Tango, nahm ca. 900 Lieder auf, meistens mit Gitarrenbegleitung, spielte in zahlreichen Filmen mit, in denen er seine Lieder sang, und starb 1935, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, bei einem Flugzeugunglück.
Dietmar Kresˇ hat sechs von Gardels Liedern für Sologitarre und eines für Gitarrentrio bearbeitet und eine Mischung aus Tangos und ländlichen Tanzformen vorgelegt, wie den Foxtrott Rubias de New York und die Zamba Criollita de mis amores. Fehlen darf neben Volver natürlich nicht Gardels größter Hit Por una cabeza, der als Klassiker des Tango Eingang in zahlreiche Filme fand.
Tangos sind dankbare Werke für Gitarristen: Piazzollas Cinco piezas (1980) für Gitarre solo und seine Histoire du tango (1986) für Gitarre und Flöte sind fest im Repertoire verankert. Aber Tangos der 1920er und frühen 1930er Jahre wie die von Gardel werden selten gespielt. Dabei war die Gitarre bei der Entwicklung des Tango von Anfang an dabei. Die ersten Ensembles waren Trios mit tragbaren Instrumenten: Violine, Gitarre (oder Akkordeon) und Querflöte. Mit der Vergrößerung der Ensembles blieb die leise klingende akustische Gitarre außen vor und erschien erst wieder als E-Gitarre in den 1950er Jahren.
Die sieben Stücke sind gitarristisch angelegt, nicht überladen, der Schwierigkeitsgrad liegt in der gehobenen Mittelstufe. Fingersätze sind sparsam, aber an allen wichtigen Stellen vorhanden. Das Vorwort ist arg kurz geraten. El día que me quieras kann man auf YouTube hören, von Kresˇ selbst eingespielt. Natürlich vermisst man in diesen Bearbeitungen Gardels ausdrucksstarke Stimme, aber die Lieder sind auch als Instrumentalsätze spielbar.
Am besten schaut man sich als Einstieg die Szene aus dem Film Der Duft der Frauen an, wenn Al Pacino als blinder Colonel Frank Slade der bezaubernd schüchternen Gabrielle Anwar ihre erste Tangostunde gibt, natürlich zu Por una cabeza, gespielt von einem ­Instrumentalquintett. Hinterher greift man zu Kresˇ’ Notenausgabe und macht es nach. Aber Vorsicht: Der Refrain klingt in dieser Bearbeitung mit vielen Jazzharmonien zwar schön, ist aber nicht leicht zu spielen.
Jörg Jewanski