Igudesman, Aleksey

Fasten Seat Belts

10 virtuoso pieces for solo violin

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2016
erschienen in: üben & musizieren 6/2016 , Seite 59

Wer die Violinshows von Aleksey Igudesman kennt, weiß, dass „10 virtuose Violinstücke“ als Titel seiner jüngst erschienenen Ausgabe kein leeres Versprechen sind und die Aufforderung, sich anzuschnallen, berechtigt erscheint. In seinem Vorwort klärt der russische Geiger, Komponist, Arrangeur und Dirigent junge SpielerInnen auf der Suche nach nicht ausgetretenen Virtuosenpfaden zunächst über die Herausforderungen des Virtuosentums auf und fordert ausdrücklich dazu auf, sich nicht von „Fehlern“ abschrecken zu lassen und, wo nötig, die Kompositionen den eigenen Vorstellungen und wohl auch Fähigkeiten anzupassen.
In seinen Kompositionen entzündet Igudesman ein Feuerwerk an virtuosen Klängen mit Doppelgriffen und Akkorden, Arpeggien, chromatischen Girlanden und bogentechnischen Kabinettstückchen. Er verwendet gerne geräuschhafte Techniken wie Pizzicati der linken Hand, Sul ponticello, schnelle Glissandi und die perkussive Chop-Technik. Was er dynamisch der Violine abverlangt – vom Pianissimo  bis zum dreifachen Forte – verlangt er der Bogentechnik und der Fingerfertigkeit der Virtuosen auch in Geschwindigkeit und Kraft ab. Wer die Aufnahmen des Komponisten kennt, der weiß, dass hierbei auch die Grenzen dessen, was SpielerInnen und Instrument realisieren können, zuweilen erreicht oder gar überschritten werden.
Der Tango del Diabolo ist hierfür ein treffendes Beispiel. Beginnt er zunächst überraschend ruhig, gleichwohl mit extremen Crescendi und Decrescendi, so wechselt er schon bald in ein erstes rhythmisch akzentuiertes Aufflackern im Allegro. Taktwechsel, Synkopen und asymmetrische Metren verlangen SpielerInnen ein hohes Maß an freier rhythmischer, fast ­improvisatorischer Spielfähigkeit und ein sicheres triolisches Feeling ab. Eine längere schnelle „A tempo“-Phase und eine Arpeggio-Sequenz bringen fast ein wenig Erholung, bevor das Stück in mehreren Accelerando-Anläufen im äußersten Fortissimo und Prestissimo über allen vier Saiten gleichsam „zerspringt“. Es gibt sicher keinen Bogenbezug, der dies völlig unbeschadet übersteht.
Musikalisch verwendet Igudesman gerne Motive russischer Traditionals (Katyuscha-Variationen, Funky Karobuschka). Der bereits beschriebene Tango sowie der Tango Loco bieten einen Ausflug in ein geigerisch dankbares Genre mit exzessiven virtuosen Eskapaden. Beinahe lyrisch wirkt dagegen das überwiegend leise gehaltene Legatostück Nostalgia, bevor in Chill out und in der Flamenco Fantasy noch einmal die virtuosen Funken mitsamt einiger Bogenhaare fliegen.
Die Kompositionen stellen für diejenigen, die rasante Show­time auf der Geige mögen, virtuose Violinmusik für höchste technische Ansprüche dar, aber die Technik der SpielerInnen muss bereits ohne „Sicherungen“ auskommen. Die Aufforderung aus dem Titel des Hefts gilt dann wohl eher den Zuhörern.
Uwe Gäb