Bossen, Anja

Vom Funkenflug zum Strohfeuer?

Wie auch bei JeKi bleibt bei JeKits un­geklärt, ob es sich um ein musik- oder ­sozialpädagogisches Projekt handelt

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2015 , Seite 40

In ihrem Beitrag “Aus JeKi wird JeKits” geht Birgit Walter der Frage nach, worum es im Nachfolgeprojekt von JeKi geht – so verheißt jedenfalls das Intro zum Artikel. Doch leider erfährt man lediglich, worum es bei JeKits im Unterschied zu JeKi geht, doch nicht viel darüber hinaus.

Die Aussage des Artikels lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass es bei JeKits noch mehr um das gemeinsame musika­lische Handeln geht als bei JeKi. Bei JeKits wird nun vom ersten Ton an gemeinsam musiziert und nicht erst nach einem Jahr. Dadurch soll den Kindern von der ersten Stunde an die Erfahrung des Instrumentalspiels, des Tanzens und des Singens als ästhetisches Handeln in der Gruppe ermöglicht werden.
Ästhetische Erfahrungen in der Gruppe stehen also im Mittelpunkt des neuen Projekts. Doch was für ästhetische Erfahrungen können die Kinder in JeKits überhaupt machen? Darüber gibt der Beitrag leider keine Auskunft, ebenso wenig benennt er, was aus den Erfahrungen letzten Endes resultieren soll. Kurz gefragt: Wozu gibt es JeKits? Und weitere Fragen stellen sich: Hat es einen Einfluss auf die Erfahrungsmöglichkeiten, wenn die Kinder Erfahrungen zwar von Anfang an in der Gruppe, dafür jedoch insgesamt kürzer machen, nämlich statt vier Jahren nur noch zwei? Warum dürfen Kinder nur Erfahrungen machen, die ihnen im Rahmen eines Schwerpunkts geboten werden, den nicht sie selbst ausgesucht haben, sondern den die Schule nach nicht näher erläuterten Kriterien für sie aussucht? Wie unterscheiden sich die Erfahrungen zwischen den Schwerpunkten? Sollen ganz bestimmte Erfahrungen ermöglicht werden, wozu es entsprechender pädagogischer Arrangements bedürfte?
Auch im Hinblick auf das Stichwort „Chancengerechtigkeit“ ist vieles unklar: Ist es z. B. chancengerecht, wenn nicht alle an JeKits teilnehmenden Kinder die gleichen Erfahrungsmöglichkeiten haben, weil sie tanzen oder singen oder ein Instrument spielen? Ist es chancengerecht, dass auch bei JeKits wiederum nicht alle Kinder in Nordrhein-West­falen teilnehmen können, da nicht alle Schulen einbezogen werden? Oder geht es bei JeKits gar nicht um Chancengerechtigkeit? All diese Fragen beantwortet Birgit Walter nicht; stattdessen ist viel von der Entfachung verschiedener Funken (spielfreudigen, ausdrucks­mäßigen und nachhaltigen) die Rede.
Vor allem aber stellt sich die auch bei JeKi ungeklärte Frage, ob es sich bei JeKits um ein musikpädagogisches oder sozialpädagogisches Projekt handelt. Wenn das gemeinsame Handeln und das Gemeinschaftserleben in der Gruppe im Mittelpunkt stehen, liegt es nahe, dass es sich um ein sozialpädagogisches Projekt handelt, zumal das Projekt ausdrücklich keine Instrumental-, Gesangs- oder Tanzausbildung ersetzen soll. Doch wenn musikalisches Können und Wissen im Sinne einer Ausbildung nicht zielorientiert verfolgt werden, was ist dann das Ziel? Geht es vorrangig um Transfereffekte?
Doch auch dann ist zu hinterfragen, warum ein sozial­pädagogisches Projekt eigentlich von MusikpädagogInnen und nicht von So­zialpädagogInnen durchgeführt werden soll. MusikpädagogInnen bilden am Instrument, vokal oder im Bereich Tanz aus, das ist ihre Aufgabe. Stellen sich dann Transfereffekte ein, so ist nichts dagegen einzuwenden, nur sind sie nicht das vorrangige Ziel. Musik in der sozialen Arbeit hingegen folgt einer völlig anderen Konzeption, denn hier stehen bewusst nicht musikalische Fertigkeiten im Vordergrund, sondern die Entwicklung der Persönlichkeit. Infolgedessen gibt es in der so­zialpädagogischen Arbeit mit Musik auch kein Curriculum, denn sie orientiert sich an den jeweiligen Bedürfnissen der Kinder im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung. Dass es für JeKits kein Curriculum gibt, spricht in Verbindung mit der Abwesenheit musikpädagogischer Ziele also ebenfalls für eine sozialpädagogische Orientierung.
Doch immer wieder wird offenkundig, dass sich die Projektveranstalter nicht richtig entscheiden können. Es ist nämlich auch die Rede von der „Verfeinerung der benötigten spezifischen Fertigkeiten“ und sogar von „Jugend musiziert“. Doch dazu bedarf es einer musikalischen Ausbildung. Soll JeKits also doch mehr leisten, als Funkenflüge zu entfachen?
Die Unentschiedenheit zwischen einer sozialpädagogischen und musikpädagogischen Konzeption wird zwangsläufig zur Wieder­holung vieler Probleme von JeKi führen. Wenn in JeKits vorrangig sozialpädagogische Arbeit verrichtet werden soll, müssten die beteiligten MusikpädagogInnen auf einen völlig anderen Umgang mit Musik vorbereitet werden. Noch sinnvoller wäre es allerdings, das Projekt von SozialpädagogInnen durchführen zu lassen.
Es wäre ohne Zweifel eine Erleichterung für alle Beteiligten, wenn die Projektveranstalter sich endlich dazu durchringen würden, JeKits als sozialpädagogisches oder musikpädagogisches Projekt zu etablieren. Dann weiß man zwar immer noch nicht, wie viele Funken wohin fliegen oder als Strohfeuer enden, doch wäre immerhin die Formulierung von Projektzielen möglich. Angesiedelt irgendwo zwischen Musik- und Sozialpädagogik, ohne Richtung und Ziele, wird JeKits wie zuvor JeKi für die meisten Kinder wohl keine nachhaltigen Wirkungen haben.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2015.