Mahlert, Ulrich

Musizieren als „Lebenskunst“?

Überlegungen, Beispiele, Fragen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2014 , Seite 08

Was erleben Menschen im und durch Musizieren? Wie wirkt Musikmachen hinein in ihr Leben? Wie verhält sich das Musizieren zu ihrem sonstigen Leben? Welche Bedeutung hat es für ihr Leben?

Auf solche Fragen lassen sich vielerlei Antworten geben. Einige sind sattsam bekannt: Musizieren bringt Menschen intensive ästhetische Erfahrungen, Vitalisierung, psychische Stärkung, Ausgleich zur Alltagsroutine, Trost, Selbstbestätigung, Genuss des eigenen Könnens, Erfolgserlebnisse… Dies ist die gewohnte Litanei der vorteilhaften Wirkungen des Musizierens auf das Leben derer, die es praktizieren. Wir werben damit, wir begründen mit ihnen die Notwendigkeit öffentlicher Förderung, wir rechtfertigen durch sie unsere musikpädagogische Arbeit.

Schlagwörter

Alle genannten und viele weitere positive Wirkungen des Musizierens treffen zu. Trotzdem bleiben solche Aufzählungen blass. In ihnen gerinnen kostbare, wenn auch keineswegs stets problemlose Qualitäten zu abst­rakten Schlagwörtern, die eindeutige Befunde vortäuschen. Das mit den Begriffen Bezeichnete muss an Beispielen konkretisiert werden, damit Lebenszusammenhänge hervortreten, die zum Nachdenken über die Funktionen des Musizierens anregen.
Eine Gefahr von Positivlisten der besagten Art liegt darin, dass sie vielleicht mehr verblenden als aufklären. Die Positiva geraten in der Vorstellung leicht zu einem Katalog von Segnungen, die sich scheinbar wie von selbst mit dem Musizieren einstellen. So wirken sie musikpädagogisch belastend: Sie erzeugen unterschwellig den Eindruck, wenn nicht gar den Anspruch, dass Musikmachen und dessen Vermittlung die benannten Lebensqua­litäten umstandslos hervorbringen, da diese ja offenbar natürlicherweise mit dem Musizieren einhergehen. Dies aber ist keineswegs ohne Weiteres der Fall. Musikmachen und Musikunterricht können auch sein: Unlust, saure Pflicht, Misslingen, Frust­ration, Fremdbestimmtheit, Bedeutungslosig­keit, soziale Isolierung, unerfüllte Zeit… Jeder, der musiziert, weiß davon. Positiva und Negativa bilden keineswegs ein Entweder-oder. Auch im besten Fall ist Musizieren kaum je eine nur positiv erlebte Tätigkeit. Wie im Leben selbst ständig Lust und Unlust changieren und in­einanderspielen, bildet auch das Musikmachen kein Sonderreich einer ständig positiv gestimmten, erfüllten Lebensweise.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2014.