Mitrovski, Marina

Das Klavier und ich

Die stetige Entwicklung einer beständigen Beziehung

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2014 , Seite 18

Wie verändert sich eine Beziehung? Und welche Gescheh­nisse tragen zu ihrer Entwicklung bei? Marina Mitrovski beschreibt anhand von Episoden aus ihrem Leben, wie sich ihre Beziehung zu ihrem Instrument im Laufe der Jahre durch äußere und innere Faktoren verändert hat.

Der Gegenstand

Es gab nicht einen Tag in meinem Leben ohne das Klavier. Es war in meinem Bewusstsein, bevor ich seiner bewusst war. Es war immer da, in unserem Haus. Gekauft hatten es meine Eltern für meinen Bruder, damals lag ich noch in den Windeln. Mit dem Kauf sollten meine Eltern einen Meilenstein in das Leben ihrer drei Kinder legen, welcher die Richtung ihrer Existenz bestimmt und in so vieler Hinsicht geprägt hat. Bevor ich also je eine Taste berührt hatte, begegnete ich ihm, der Perfektion an Symmetrie der Tasten, edel, schwarz und schön. Es passierte nichts zwischen ihm und mir, es war weder wuchtig oder majestätisch in meiner Betrachtung, sondern schlicht und einfach ein Teil unseres Hauses. Ich liebte es nicht, ich kannte es nicht, bevor ich nicht alt genug war, um ihm zu begegnen.
Hier erfährt man das von Musikern oft als Schicksal beschriebene Moment. Die Eltern sind der Anstoß für das Klavierspielen, indem sie das Instrument kaufen und es Teil des elterlichen Hauses werden lassen. Die Eltern möchten ihren Kindern etwas Gutes tun und in ihre Ausbildung investieren durch den Kauf eines teuren Instruments. Bevor das Kind es bemerken kann, haben die Eltern einen Weg eröffnet, wohin das Kind gehen könnte.

Die erste Begegnung

Ich saß im Schoß meiner Mutter; noch konnte ich nicht laufen und sie stellte mich dem Klavier vor. Wir berührten die Tasten gemeinsam. Mein Bruder sollte mir zeigen, was man darauf spielen kann. Ich konnte weder sprechen noch laufen, aber lachen. Mein Bruder sollte mich damit aufheitern, vergnügen, spielen.
Hier verbindet sich die Liebe der Mutter zum ersten Mal mit dem Gegenstand Klavier. Die Mutter hält das Kind im Schoß und zeigt ihm etwas. Es kann nur etwas Gutes sein, wenn es von der Mutter kommt. Es verknüpft sich auch die brüderliche Liebe, weil der Bruder aus dem Instrument Spaß hervorbringt. Das Kind wird amüsiert, es sind schöne Klänge, es ist wie ein großes Spielzeug. Das Klavier wird nicht alleine gespielt, sondern beschützend im Zusammensein und birgt Zusammenhalt und Freude. Es werden nur freundliche und fröhliche Gefühle mit dem Klavier konnotiert.

Das erste Spielen – ohne Unterricht

Endlich groß genug, der Körper und die Motorik ausreichend entwickelt, um auf dem Klavier alleine zu spielen. Ich konnte den Stuhl, diesen riesigen Stuhl, hochklettern und die Tasten herunterdrücken, meine Finger waren stark genug. Und es kam immer ein Ton heraus. Ich konnte neben meinem Bruder sitzen und mitspielen, ihm nicht nur dabei zuschauen. Ich war so stolz und fühlte mich groß. Obwohl ich es liebte, wenn mein Bruder mir Sachen beibrachte, hatte ich auch langsam Neid entwickelt, wenn er das tat. Ich wollte es ihm unbedingt gleichtun, den Spieß umdrehen; aber er war immer der Ältere und mir auch immer überlegen. Er hatte schon Unterricht und ich nicht. Er hatte etwas, das ich nicht hatte, aber wollte. Deshalb rief ich ihn oft weg vom Klavier, um selbst zu spielen. Wir stritten darum, bis meine Mutter schlichtete. Das änderte sich, als ich auch meinen ersten Unterricht bekam.
Hier wird die erste Körperlichkeit entdeckt. Das Kind vergrößert seinen Körper durch das Instrument und gilt nicht mehr als klein. Durch die enorme Größe des Klaviers in Relation zum Kind verstärkt sich durch das Klavierspiel das Gefühl, etwas zu sein, was man in Person noch nicht ist. Es entsteht auch ein erstes Bewusstsein, mit den eigenen Händen etwas schaffen zu können sowie von etwas Besitz zu ergreifen. Geschwisterlicher Neid kommt auf, das Kind erkennt die Überlegenheit des Älteren durch seinen weiterentwickelten Körper und sein fortgeschritteneres Wissen durch den Erhalt von Unterricht. Dadurch bekommt die Beziehung zum Klavier eine wichtige Rolle für das subjektive Erleben des jüngeren Kindes.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2014.