Rampe, Siegbert

Carl Philipp Emanuel Bach und seine Zeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Laaber, Laaber 2014
erschienen in: üben & musizieren 6/2014 , Seite 51

Dies dürfte wohl die bisher umfang- und materialreichste Arbeit über den zweitältesten Sohn Johann Sebastian Bachs sein, in dessen übergroßem Schatten er nach wie vor steht und aus welchem ihn herauszuholen der Autor nichts unversucht lässt. Wobei sich bei Vater und Sohn dem Forscher ähnliche Probleme stellen: Die Überlieferungslücken sind zahlreicher als die erhaltenen Belege. Diesen kann auch Rampe kaum neue hinzufügen, erweist sich aber insofern als ein hervorragender Anwalt des, wie er ihn nennt, „einfühlsamen Sanguinikers“ Carl Philipp Emanuel, als er die Zahl der Indizien zu dessen Leben und Schaffen geradezu exorbitant vermehrt hat. Es ist also notwendigerweise ein hauptsächlich im Suppositiv verfasstes Buch.
Ein Buch, an dem gleichwohl Interessenten wie Forscher nicht vorbeikommen werden: Bachs Leben wurde bis heute noch nie in solcher Vollständigkeit, mit einer solchen Dokumentenfülle und so detailliert dargestellt!
Spätestens das Jubiläumsjahr 2014, in dem Bach endlich in den Konzerten etwas präsenter war, hat es gezeigt: Er ist ein ganz Großer – und ein bis dato fast gänzlich Verkannter, dessen Namen man getrost in einem Atemzug mit Joseph Haydn, Georg Friedrich Händel oder Christoph Willibald Gluck nennen darf! Aber Liebe macht bekanntlich blind, und so schießt der Autor vor lauter Zuneigung zu „seinem“ Bach gelegentlich doch etwas über das Ziel hinaus, dann nämlich, wenn er diesen auch noch mit Johann Sebastian Bach oder Mozart auf eine Stufe zu stellen versucht.
Nun ist ein „Ranking“ unter Kom­ponisten stets problematisch, hängt das Urteil doch sehr vom individuellen oder auch vom Zeitgeschmack ab (zu seiner Zeit galt Carl Philipp Emanuel als der Bedeutendste der Bachs), auch von der Art und den Umständen des Hörens, und auch die Spezifika der Musikepochen lassen sich kaum gegeneinander ausspielen. Aber die Spitzenstellung des Vaters Bach nur mit einem „anhaltenden Romantizismus“ abzutun, greift doch etwas zu kurz. Zurecht weist Rampe darauf hin, dass Mozart Carl Philipp Emanuel sehr geschätzt habe, unterschlägt aber dabei auch, dass er nicht minder dessen jüngstem Halbbruder Johann Christian Bach äußerst zugetan gewesen ist, jenem Fami­lienmitglied, dessen Musik Carl Philipp Emanuel seinerseits mit Verachtung strafte.
Zu einem unentbehrlichen Standardwerk wird das Buch aber nicht nur durch die Vita des Hamburger Bach, sondern ganz besonders durch den 170-seitigen Anhang mit Abbildungen, Notenbeispielen und den gar nicht genug zu rühmenden Apparaten, darunter vor allem Bachs umfangreiches und nach heutigem Wissensstand wohl vollständiges Werkverzeichnis. An einer Stelle seines Buchs bemängelt der Autor, dass Carl Philipp Emanuel Bach trotz vorhandener Pläne in keiner „seiner“ Städte ein Denkmal erhalten habe. Jetzt hat er ihm selbst eines gesetzt, wie es würdiger kaum sein könnte!
Friedemann Kluge