Hinrichsen, Hans-Joachim

Beethoven

Die Klaviersonaten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: üben & musizieren 4/2014 , Seite 50

„Ein Nachdenken über Beethovens Klaviersonaten wird nie an ein Ende kommen“, schreibt der Autor so treffend wie lapidar im kurzen Vorwort. Handelt es sich zunächst um 32 Einzelwerke, die in unterschiedlicher Popularität zwischen Omnipräsenz und gradueller Unbekanntheit in Konzertleben wie Unterricht figurieren, so strukturieren sie sich doch aufsteigend: zunächst zu kleineren, kompositorisch auf­einander bezogenen zyklischen Einheiten (wie etwa die Werkgruppe der legendären drei letzten Sonaten), schließlich in ungefähr einzugrenzende Phasen des Personalstils (frühe, mittlere und späte Sonaten) bis hin zu einer bis heute immer wieder faszinierenden Totalität, die nicht nur die weitere Geschichte der Klaviersonate, sondern die des musikalischen Denkens und Kompo­nierens überhaupt wesentlich verändert hat.
Zur erläuternden Gliederung sind zwischen die sich jeder Sonate getrennt widmenden Einzeldarstellung daher Exkurse eingestreut: zur eigentlich erst durch Beethoven entwickelten Konstitution eines musikalischen Denkens in Formen, zur poetischen Idee, zu „Pathos und Humor“ oder zur Problematik des bei Beethoven trotz Adorno vielleicht doch nicht passenden Spätstil-Theorems. Vor allem in diesen Exkursen wird auch immer wieder detailliert auf Besonderheiten der Beethoven-Rezeption verwiesen, die das Beethoven-Bild – und das der Sonaten – entscheidend prägten und immer wieder auch veränderten, etwa die ausführliche Darstellung der zumeist nicht auf Beethoven zurückgehenden und teils post­humen Namensgebungen von „Mondschein-Sonate“ bis hin zum Kuriosum der „Hammerklavier-Sonate“, bei der die auch für andere Sonaten gedachte Eindeutschung eines Terminus tech­nicus zum Missverständnis einer martellato-Charakteristik führte.
In den Einzeldarstellungen wird über diese bekannten Sonaten hinaus insbesondere für die immer noch wenig gespielten Sonaten wie Opus 54 oder Opus 78 Partei ergriffen. Breiten Raum nimmt jeweils die Entstehungsgeschichte ein, sowohl deren äußere Umstände betreffend als auch mit dem immer wieder erhellenden Blick auf die in den ver­gangenen Jahren auch mit wichtigen Faksimileausgaben hervorgetretene Skizzenforschung. Tatsächlich drängt sich erst bei der Konfrontation von erster Skizze und definitiver Gestalt des komprimierten ersten Themenkomplexes von Opus 109 die Erkenntnis auf, dass hier schließlich auch eine pianistische Nichtdarstellbarkeit mit einkomponiert wurde, deren Auflösung bis hin zur Coda Teil des formalen Prozesses ist, gewissermaßen als Weg aus der Abstraktion zur Dinglichkeit.
Im umfangreichen Anmerkungsapparat entdeckt man, dass zahlreiche neuere Publikationen vor allem auch aus der in Sachen Beethoven äußerst virulenten angelsächsischen Musikwissenschaft berücksichtigt wurden: Das „Nachdenken“ ist zwar nicht zu Ende, doch ist es einstweilen erneut subsumiert.
Andreas Krause