Spychiger, Maria

Die schwierige Stelle anlächeln

Zur Entwicklung von Fehlerkultur in der Instrumentalpädagogik

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2014 , Seite 32

Dieser Beitrag befasst sich mit Einstellungen und praktischen Möglichkeiten zum Umgang mit Fehlern beim Musiklernen. “Die schwierige Stelle anlächeln” ist bereits in diesem Sinne zu verstehen: als ein fehlerfreundliches Vorgehen. Fehlerfreundlichkeit ist die wesent­liche Leitlinie zum Umgang mit Feh­lern, zu welchem hier vier Vorgehensweisen vorgestellt werden: die Selbstverbalisationen, das pädagogische Halten, das im Titel genannte Anlächeln und die Analyse von Aufnahmen.

Der Begriff „Fehlerfreundlichkeit“ tauchte erstmals 1991 auf, als Titel eines Buches, herausgegeben vom Arbeitspsychologen Theo Wehner: Sicherheit als Fehlerfreundlichkeit. Mehrere Untersuchungen hatten ergeben, dass es in Betrieben mit einer bestimmten Haltung gegenüber dem Fehler und einem entsprechenden Umgang damit weniger Unfälle, weniger Krankheit und weniger Fehl­tage gibt. Es sind fehlerfreundliche Arbeits­orte und sie sind sicherer als weniger fehlerfreundliche. Das Phänomen wird beschrieben als (a) eine optimistisch-aufklärerische Haltung, die die bewusste Hinwendung zum Fehler und nicht das Wegschauen zum Ziel hat, und (b) die Wirksamkeit eines Prinzips, das der aktiven Handlungskontrolle von Fehlerkonsequenzen dient, nicht nur der Vermeidung oder Korrektur. Weiter gehört dazu, (c) Aneignungschancen, Korrektur- und Repeti­tionsmöglichkeiten zu bieten, die vom Handelnden mitbestimmt werden können.

Fehlerkultur für die Instru­men­talpädagogik ist ein ­Beitrag zum überlegten Üben und Unterrichten. Sie erfordert Anstrengung und Disziplin. Das Lächeln spielt dabei eine bedeutsame Rolle.

Man sollte nicht denken, Fehlerfreundlichkeit sei womöglich eine weitere Auflage der pädagogischen Nachgiebigkeit und Verweich­lichung. Zutreffender ist, dass Fehlerkultur das Lernen effizient machen und das Lern­ergebnis für die Performanzphase optimieren will. Fehlerkultur für die Instrumentalpädagogik ist ein Beitrag zum überlegten Üben und Unterrichten, es ist eine Spielart der deliberate practice.1 Sie erfordert Anstrengung und Disziplin. Das Lächeln spielt dabei eine bedeutsame und interessante Rolle und verdient es sogar, als eigene Kategorie der folgenden vier Praxen behandelt zu werden.

1. Gute Selbst­verbalisationen

Wie spreche ich zu mir selbst? Das Mit-sich-selbst-Reden ist etwas Alltägliches, aber es ist auch ein wichtiges Gebiet der pädagogischen und der klinischen Psychologie. Die Art und Weise und die Inhalte der Selbstkommentare und -gespräche haben einen starken Einfluss auf das Befinden und auch auf das Lernen. Das Gespräch mit sich selbst wirkt sich auf das Erinnern aus: Spricht man laut mit sich selbst – so einfache Dinge wie die Wiederholung eines Codes oder eines Namens –, kann man es viel besser behalten und auch wieder aus dem Gedächtnis abrufen, besonders wenn man es noch ein paarmal wiederholt. Für die Befindlichkeit (die indirekt auch wieder lernwirksam ist) gilt Ähn­liches: Man reguliert sich selbst positiv oder negativ, je nachdem wie man etwas und was man zu sich selbst sagt.
„Schon wieder!“, „Mist!“, „Ich bin blöd!“ (oder manchmal in der Ansprache zu sich selbst: „Was bist du für ein Idiot“!), sind durchaus gängige Selbstkommentare beim Üben alleine zu Hause. Es lohnt sich, diese Selbstverbalisationen zu überprüfen – sie können entmutigend oder selbstschädigend sein und den Lernprozess behindern. Oft sind sie einfach eine Gewohnheit. Sie durch etwas Selbstwertschützendes und Lernwirksameres zu ersetzen – „Das hat geklappt!“, „Das probiere ich noch ein anderes Mal“, „Ich stelle mich der Situation“, „Durchatmen!“ und Ähnliches mehr –, eröffnet neue Spielräume.
Der Aufbau neuer Formen und Inhalte von Selbstverbalisationen ist selbst auch schon ein Lernprozess, der Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Lenkung erfordert. Eine pädagogische Begleitung kann helfen, schneller zum Ziel zu kommen oder nicht auf halber Strecke in alte Muster zurückzufallen. Ver­änderungen sollten durch Anerkennung und Belohnung gefestigt werden. Auch auto­didaktisch ist dies möglich, etwa wenn man sich nach einer Übesequenz ohne Selbst­diffamierungen selbst lobt, jemandem davon berichtet, sich einen besonders guten Kaffee oder eine Lesepause gönnt.

1 „Deliberate“ kann mit „absichtsvoll“, „gezielt“, „überlegt“ oder „reflektiert“ übersetzt werden. Karl Ericsson und Kollegen haben 1993 in einem sehr einflussreichen Beitrag zur Expertiseforschung die deliberate practice vorgestellt; vgl. K. Anders Ericsson/Ralf Th. Krampe/Clemens Tesch-Römer: „The Role of Deliberate Practice in the Acquisition of Expert Performance“, in: Psycholo­gical Review, 100, 1993 S. 363-406. Es ist die Art des Übens, die den maximalen Gewinn bringt. Wer sie ausübt, kann es weit bringen. Es sind etliche Randbedingungen im Spiel: Es muss jemand 1. über geeignete Ressourcen verfügen (materiell, elterlich, pädagogisch), 2. interessiert und motiviert sein (was mit dem ersten Punkt zusammenhängt) und 3. zu Extraanstrengungen bereit sein. Erics­son nennt diese drei Faktoren constraints. Der Beziehungsfaktor und die Unterstützung spielen darin eine zentrale Rolle. Alle untersuchten Spitzengeiger erfüllten diese constraints und haben maximal deliberate geübt. Ich denke, dass das Potenzial des Fehlers als Hinweis darauf, was und wie geübt werden soll, ein zentraler Faktor der deliberate practice ist – man sollte dies erforschen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2014.