Frey-Samlowski, Ruth-Iris

Leben und Werk Margit Varrós

Lebendiger Musikunterricht im internationalen Netzwerk

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: üben & musizieren 1/2013 , Seite 55

Die Autorin deckt mit ihrer an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main entstandenen Disser­tation eine wissenschaftliche Schieflage auf: die bis heute ­bestehenden Wissens- und Forschungslücken zum Leben und Wirken der ungarischen Musik- und Klavierpädagogin, Musikwissenschaftlerin, -psychologin, -medizinerin und Autorin Margit Varró und deren internationale Bedeutung für die Musikpädagogik. Diese sind umso bemerkenswerter, gehört doch das Werk Varrós, insbesondere das Buch Der lebendige Klavierunterricht von 1921, zur Standard­literatur an deutschsprachigen Musikhochschulen.
Frey-Samlowski legt einen farbigen Grundstein für die zukünftige Erforschung und Einarbeitung weiterer unerschlossener Quellen zu Varró. Ihre umfassende Vorarbeit zeigt sich in einer detaillierten Biografie, die über die Hälfte dieser Arbeit einnimmt – ihre Sozialisation, Ausbildung, Lehrtätigkeit, ihre Reisen, Kontakte zu Intellektuellen und Musikern wie Yehudi Menuhin und Béla Bartók sowie ihre Tätigkeit als Konzertpianistin.
All das bettet die Autorin in die Zeitgeschichte Budapests, Ös­ter­reich-Ungarns und Europas ein und macht auf die Blütezeit heute un­beachteter kultureller und wirtschaftlicher Zentren aufmerksam. Eine Bibliografie beleuchtet die fachliche Weitsichtigkeit Varrós, die sich in der Darstellung des Konzepts ihrer Klavierschule Der lebendige Klavierunterricht (in der deutschen Fassung erstmals 1929 erschienen) exemplarisch vertieft.
Hierbei wird die ganzheitliche Sicht des Klavierschülers als musikalisch empfindendes Wesen deutlich, denn neben Technik, Gehörbildung und theoretischen Kenntnissen werden „musikalischer Sinn und Vernunft“, „Psychologische Zusammenhänge des Anfängerunterrichts“, die kindliche Fantasie, Methodik und ihre Anpassung an den Schüler sowie die „Behandlung“ von Schülern mit „verdorbener“ Technik berücksichtigt.
Die übersichtliche Vorgehensweise Frey-Samlowskis spiegelt sich bereits im detaillierten Inhaltsverzeichnis wider. Eine aufwändige und spannende Recherche-Arbeit und ein illustrativer Einblick in diese durch farbliche Abbildungen, Fotos, übersichtliche Tabellen und Karten machen die zwangsläufig mit vielen wissenschaftlich-formalen Aspekten gespickten Ausführungen nicht nur für Fachkundige überwiegend gut lesbar. Zu der hohen fachdidaktischen Relevanz für die Klavierpädagogik und die Musikpädagogik im Allgemeinen – Frey-Samlowski spricht von einem übertragbaren und universalen Ansatz Varrós – machen nicht zuletzt die historische Brisanz des Geschehens inmitten zweier Weltkriege und der europaweite Wirkungskreis der Protagonistin diese Dissertation zu einer facettenreichen ersten Entdeckungsreise in das Leben und Schaffen einer unermüdlichen Musikpädagogin.
Christoph Guddorf