Schattel, Bertram

Männersache

Anregungen zur Entwicklung eines Knabenchors

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 6/2012 , Seite 30

Wie kann man Jungs zum Singen bringen? Die Antwort heißt: MÄNNERSACHE – so der Name eines 2010 von Bertram Schattel am Ludwig-Uhland-Gymnasium in Kirchheim unter Teck gegründeten und von der Musikschule Kirchheim betreuten Unterstufen-Knabenchors. Die Geschichte eines Erfolgsmodells.

Bis zum Ende der Grundschulzeit waren in unseren Musikschulchören Jungs und Mädchen etwa im Verhältnis 1:2 oder gar 1:1 vertreten. Nach der Grundschulzeit änderte sich das Verhältnis drastisch. Wo waren plötzlich die Jungs? Weil ich dem Vorurteil, Männer könnten nicht singen, entschieden den Kampf angesagt hatte, lautete die für mich entscheidende Frage: Wie kommt Mann zum Singen? Selbst noch mit der Ideologie der allein selig machenden Koedukation groß geworden, hat es viele Jahre gedauert, ehe ich endlich akzeptieren konnte, dass Mädchen und Jungen in bestimmten Bereichen und während entscheidender Entwicklungsphasen ihres Lebens (etwa zwischen dem neunten und 14. Lebensjahr) auch im Singen sinnvollerweise getrennt unterrichtet werden sollten.
Grundsätzlich haben Männer hohe Hemmschwellen, wenn es um neue, vor allem emotionale Erfahrungen geht, wie sie das Singen mit sich bringen. Leider kennen viele Männer das Singen nicht – oder haben negative Erfahrungen damit gemacht. Was Männer im Allgemeinen betrifft, gilt auch für Väter von Jungs. Und wenn Jungen von Haus aus keine singenden männlichen Vorbilder haben, tradieren sich Vorurteile und Hemmschwellen.
Weitere Hürden bauen sich auf: zusätzliche Nachmittagstermine, Konkurrenz zu sportlichen Aktivitäten, die für Knaben unerlässlich wichtig sind, zusätzliche Kosten, da die Chorteilnahme an der Musikschule nicht unentgeltlich ist. Die Erkenntnis: Wenn also die singfähigen Jungen nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen gehen. Und der Ort, der das Leben der Heranwachsenden neun bis zwölf Jahre lang maßgeblich prägt und bestimmt, ist die Schule.

Die Idee: Stimmchecks in der fünften Klasse

Da wir an der Musikschule Kirchheim schon lange regelmäßige Stimmchecks bei unseren Chorkindern durchführen, kam ich auf die Idee, diese einmal gezielt bei Jungen einer Altersstufe an einer allgemein bildenden Schule anzuwenden.
Die Idee: Sämtliche Jungs der fünften Klassenstufe werden einzeln „durchgecheckt“. Das Ziel dabei ist, diejenigen herauszufinden, die eine erkennbare stimmliche Begabung zeigen. Sie werden nach Abschluss der Testphase persönlich zur Mitwirkung in einem Knabenchor eingeladen. Die 5. Klasse bietet sich in idealer Weise für das Projekt MÄNNERSACHE an. Am Ende der Grundschulzeit beginnt eine Phase, in der sich Jungen und Mädchen in der Regel in deutlich unterschiedlichem Tempo körperlich und seelisch weiterentwickeln. In der Schule lässt sich die Koedukation nicht vermeiden, aber im Freizeitangebot – und dazu gehören auch schulische AGs – genießen es die Jungen und Mädchen in der Regel sehr, voneinander getrennt „behandelt“ zu werden. Sie möchten unter sich sein, abseits vom „lästigen“ anderen Geschlecht.
Damit eine solche Idee Wirklichkeit werden kann, braucht es Offenheit von Seiten der GesangspädagogInnen an der Musikschule und der SchulmusikerInnen an der allgemein bildenden Schule. Beide Kooperationsseiten müssen in der prinzipiellen Zielrichtung einig sein. Zunächst geht es darum, Jungs für das Singen zu motivieren, z. B. durch den Stimmcheck. Wer danach den zu gründenden Knabenchor leiten wird, steht auf einem anderen Blatt. Derjenige, der die Stimmchecks macht, muss nicht unbedingt auch der künftige Leiter des Ensembles sein. Zum Beispiel reichten die Kapazitäten der Kolleginnen und Kollegen am Ludwig-Uhland-Gymnasium nicht für die Leitung eines zusätzlichen Ensemb­les. Sollte die Idee dennoch fruchtbar werden, musste die Leitung eines Knabenchors einer externen Kraft übertragen werden.
Eine weitere Hürde, die es zu nehmen galt, war die Frage nach der Ensemble-Zeit. Wann anders hätte ein Knabenchor eine Chance, wenn nicht zu eben jener Wochenstunde, die für die Unterstufe als Chorstunde reserviert ist? Da aber ist traditionell Unterstufenchor für die Fünft- bis Siebtklässler. Der Leiter des Unterstufenchors musste bereit sein, auf die durch die Stimmchecks gewonnene Knabenauswahl zu verzichten. Dabei sei angemerkt, dass die ausgewählten Jungen zum großen Teil erst gar nicht in den allgemeinen Unterstufenchor gegangen wären – schon wegen der dort herrschenden Frauenübermacht.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2012.