Welte, Andrea

Absolut glücklich

Die Bläserklasse als innovatives Angebot für Erwachsene

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2012 , Seite 20

Vor ungefähr zwanzig Jahren wurden die ersten Bläserklassen an deutschen Schulen gegründet. Inzwischen existieren viele Varianten, auch für verschiedene Schulformen und Altersgruppen. Die Kooperation von Schule und Musikschule ermöglicht den Erfolg der Bläserklassen, die aus der Bildungslandschaft kaum mehr wegzudenken sind. Ist es nun an der Zeit, dass die Musikschule Bläser­klassen speziell für Erwachsene in ihr Angebot aufnimmt?

Fünfundvierzig Erwachsene zwischen Mitte zwanzig und Mitte sechzig beim Konzertauftritt im großen Saal des Schöneberger Rathauses in Berlin. Keines der üblichen Laienorchester – hier spielen alle ihr Instrument erst seit eineinhalb Jahren. Der Saal ist gut gefüllt mit Menschen verschiedenen Alters, die nach jedem Stück begeistert Beifall spenden.
Die Bläserklasse für Erwachsene ist ein neues musikalisches Bildungsangebot, das auf gemeinsames Lernen und Musizieren von Anfang an setzt. Initiiert wurde diese Variante der schulischen Bläserklassen von Clemens Prüfer und Robert Bauer, zwei Lehrenden der Leo-Kestenberg-Musikschule in Berlin. Zum Konzept gehören zwei Stunden Unterricht pro Woche, aufgeteilt auf eine Gesamtprobe und einen Gruppenunterricht, in dem Holz- und Blechblasinstrumente getrennt unterrichtet werden. Die TeilnehmerInnen lernen alle Instrumente (Querflöte, Klarinette, Saxofon, Trompete, Horn, Baritonhorn, Posaune und Tuba, eventuell Schlagzeug) in einem sechswöchigen Schnupperkurs kennen, bevor sie sich in Absprache mit den Kursleitern für ein Instrument entscheiden.
Die Kosten sind deutlich niedriger als für ­Einzelunterricht und Instrumente können zu günstigen Konditionen von der Musikschule geliehen werden.1 Bedingung für die Teilnahme ist, dass keine Vorkenntnisse auf dem neu zu erlernenden Instrument vorhanden sind. Im Laufe von zwei Jahren wird ein beachtliches Repertoire aus Klassik, Pop, Rock und Jazz erarbeitet. Der erste Konzertauftritt erfolgt schon nach wenigen Monaten. Nach Ablauf der zwei Jahre kann in ein anderes Ensemble der Musikschule – zum Beispiel das Blasorchester – gewechselt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, die erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Einzelunterricht zu vertiefen.

Enorme Nachfrage und große Motivation

Brauchen wir wirklich eine Bläserklasse für Erwachsene? Reicht es nicht aus, wenn Tausende von SchülerInnen allgemein bildender Schulen in Deutschland sich mit (amerikanischen) Märschen in B-Tonarten beschäftigen? Wissen wir nicht alle, wie leicht sich im instrumentalen Gruppenunterricht Haltungs- und Ansatzfehler einschleichen, die später nur schwer zu korrigieren sind? Ist es möglich, dass Erwachsene einen – mehr oder weniger direktiven – Gruppenunterricht einem individualisierten, ganz auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmten Einzelunterricht vorziehen?
Tatsächlich stößt das Konzept der Bläserklasse bei vielen Erwachsenen in Berlin auf großes Interesse. Die Nachfrage ist enorm, obwohl nur wenig Werbung gemacht wurde. Waren es im ersten Durchlauf auf Anhieb
35 TeilnehmerInnen, so haben im zweiten Durchlauf im Dezember 2010 bereits 60 Erwachsene in der Bläserklasse begonnen. Die Altersspanne (aktuell von 25 bis 65 Jahren) trägt zum besonderen Reiz des Angebots bei; die intergenerative Zusammensetzung wird von Lehrenden wie Lernenden als un­gemein lernfördernd beschrieben. Auch nach etlichen Monaten noch sind die TeilnehmerInnen Feuer und Flamme; das gemeinsame Musiklernen erleben sie als wunderbar und persönlich beflügelnd. Kaum jemand bricht den Unterricht ab. Die meisten kaufen sich spätestens nach Ablauf der zwei Jahre ein eigenes Instrument, weil sie weiter musizieren wollen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2012.