Hofmann, Gabriele (Hg.)

Musik & Gewalt

Aggressive Tendenzen in musikalischen Jugendkulturen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2011
erschienen in: üben & musizieren 3/2012 , Seite 56

Wer von Heranwachsenden spricht, darf von der Musik nicht schweigen. Denn deren Bedeutung zeigt sich in vielen Funktionen: Sie sorgt für Zusammenhalt und Anerkennung unter den Jugendlichen, hilft bei der Abgrenzung von den Erwachsenen und ermöglicht den emotionalen Rückzug aus Familie und Schule. Qua Musik kann man sich als selbstbewusst und unverwundbar präsentieren, das Gefühl von Unterlegenheit kompensieren, den Alltag erträglich machen…
Auf der Suche nach Selbstbehauptung wird selbstverständlich die gezielte Normverletzung erprobt: Gangsta-Rap, Porno-Rap und brutale Videos dienen als Ausdrucksmittel und als Vorbilder. Doch was genau macht ein Jugendlicher bzw. was widerfährt ihm, wenn er diese Musik hört, sich die provozierenden Texte bewusst macht und gewalthaltige Videos anschaut? Sucht er den Schock, zeigt er Mut im Kreis der Gleichaltrigen oder gewöhnt er sich an zerstörerisches Verhalten und bereitet sich zur Gewalttat?
Da es sich bei Musik und Text oft um starken Tobak handelt, wollen SozialwissenschaftlerInnen, PädagogInnen und Eltern natürlich wissen, wie und was auf die Jugendlichen wirkt. Unter dem Blickwinkel Musik und Gewalt dokumentiert die vorliegende Schrift, ob und wenn ja, welche asozialen Neigungen bei jungen Menschen durch den Konsum gewalthaltiger Musik (vor allem ihrer Texte) geweckt oder bestärkt werden.
Um über alle Beiträge hinweg gleich zu klären, was Sache ist: Belastbare Ergebnisse gibt es kaum. Die Forschungsanstrengungen haben aber trotzdem zu vielen Einsichten geführt. Die sieben Texte sind Früchte eines Symposions von 2010. Leider ist der erste Beitrag, von der Herausgeberin eigentlich zur Orientierung verfasst, gedanklich und sprachlich erschreckend schwach geraten. Doch glücklicherweise bleibt es nicht so.
Genauigkeit ist bei diesem Gegenstand ohnehin besonders gefordert. Seit Langem tobt der Kampf um die Deutung dessen, was Gewalt ist. Schon das Wort ist vieldeutig (gewaltig ist das Bergmassiv), der Begriff hingegen ist vollends ideologisch umstellt. In Verbindung mit Musik vermehren sich die Perspektiven nochmals.
Gewalthaltige Musik sind harter Rhythmus, große Lautstärke, hetzende Tempi. Hier spielt allerdings die Gewöhnung eine große Rolle, was ja auch in der ernsten Musik zu verfolgen ist. Als gewalthaltig gilt Musik außerdem, wenn sie sich mit aggressivem, aber normiertem (nicht auf die Kleinen und Schwachen) Tanzen verbindet (Pogo, Slamdancing). Gewalthaltige Musik meint in der Jugendszene vor allem Texte: vulgär, menschenfeindlich, böse. Wichtig wäre es freilich, ihre vielen Funktionen für Heranwachsende zu bestimmen. Und das ist schwierig.
Immerhin: Die Aufsätze informieren über den aktuellen Forschungsstand, versorgen mit einschlägiger Literatur und machen feinfühlig für das komplexe Thema.
Kirsten Lindenau