Haas, Elisabeth

Einübung in ästhetische Räume

Zu Anton Weberns "Kinderstück", György Kurtágs ­"Játékok" und Helmut ­Lachenmanns "Kinderspiel"

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Wien 2011
erschienen in: üben & musizieren 2/2012 , Seite 56

Die Musik der Gegenwart fordert mit ihren vielfältigen kompositorisch-ästhetischen Ausrichtungen immer wieder neue Verstehensgrundlagen ein und wird damit in der pädagogischen Vermittlung zu einer Herausforderung für Lehrende. Dem Spannungsfeld zwischen anspruchsvoller musikalischer Kinderliteratur und den im Erfassen komplexer Strukturen noch ungeübten SpielerInnen widmet sich Elisabeth Haas in ihrem Buch.
Ausgehend von Anton Weberns Kinderstück führt die Autorin aus, dass kompositorisches Denken auf höchstem Niveau das Auffassungsvermögen jüngerer Spie­lerInnen nicht überfordern muss. Mit Stücken von György Kurtág und Helmut Lachenmann stellt sie Beispiele jüngerer Klaviermusik vor, die dazu einladen, neue Tonsprachen aktiv verstehen zu lernen. Haas nennt dieses Erkunden unbekannten Terrains auch „Einübung in ästhetische Räume“. Sie geht davon aus, dass die Fähigkeit, Kunstwerke wahrzunehmen, an einen langwierigen Lernprozess gebunden ist, bei dem die Grenzen des Verstehens durch immer neue sinnliche und geistige Annäherung ausgeweitet werden. Dabei kommt dem Aspekt des Spiels und der damit verbundenen intensiven Versenkung und Hingabe besondere Bedeutung zu.
Gerade für Webern war die Vorstellung vom Lernen am Kunstwerk zentral. In seiner einzigen überlieferten Komposition für Kinder ging es ihm nicht um Reduktion des Anspruchs, sondern um Reduktion der Schwierigkeiten und um „Fasslichkeit“.
Auch wer György Kurtágs Musik spielt, wird beginnen, sich mit künstlerisch essenziellen Fragen auseinanderzusetzen. Er wird lernen zuzuhören, Stille auszuhalten, wird anfangen, ein Gespür für das Gestische in der Musik zu entwickeln. Mit Játékok wollte Kurtág die kindliche Neugier und Experimentierfreude wecken, Orientierung in neuen Klangwelten geben. Schon dem Anfänger überlässt er die gesamte Klaviatur.
Während Kurtágs Stücke durch ihren Bezug auf einen Sprach­gestus mit jahrhundertealter Musiktradition auf unmittelbare Kommunikation gerichtet sind, werden bei Lachenmann Kommunikationserwartungen zunächst nicht erfüllt. Das genauere Hinhören und die Beschäftigung mit dem Material führt auch in seinem Kinderspiel zu neuen Wegen der Verständigung. Sich auf diese unbekannten Pfade zu begeben, dabei helfen schon Neugier weckende Titel wie „Wolken im eisigen Mondlicht“ oder „Filterschaukel“, die in raffinierte Klangwelten einführen.
Diese drei „Lehrstücke ohne didaktischen Vorsatz“ (Peter Härtling) werden detailliert analysiert und von zahlreichen Notenbeispielen begleitet im zeitgeschichtlichen und ästhetischen Kontext betrachtet. Elisabeth Haas gibt mit ihrem Buch einen wertvollen Leitfaden zur Vermittlung dieser Werke an die Hand.
Anja Kleinmichel