Schokking, Dorothea

Streicher und Pianisten im Team

Beim gemeinsamen Kongress von EPTA und ESTA konnten beide Gruppen nur gewinnen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 1/2012 , Seite 42

Im Oktober 2011 haben sich zum dritten Mal in ihrer Geschichte die European Piano Tea­chers Association (EPTA) und die European String Teachers Association (ESTA) zusammengefunden, um gemeinsam ihren jährlichen Kongress zu halten. Die TeilnehmerInnen erwartete ein vielseitiges Programm: neben Unterrichtsdemonstrationen, Filmbeiträgen, der Vorstellung eines großen Schatzes an Kammermusik-Repertoire und einem Bericht über Fördermodelle für junge hochbegabte Musiker unter anderem auch Gedanken über Die Forelle und ihre Folgen.
Ulrich Mahlert gab einen Überblick über drei Jahrhunderte Kammermusik von Streichern und Pianisten: vom Barock über die Frühklas­sik, in der das Spielen eines Streichinstruments noch als „unziemlich“ für Frauen galt und ihnen das Tasteninstrument die Möglichkeit gab, als Musizierende aktiver „mitzumischen“ als im wirklichen Leben, bis hin zur Romantik, wo Kammermusik zu einem eigenen Kosmos wurde. „Kammermusik ist die Utopie eines sozialen Umgangs“, so Mahlert, „tief befriedigend, rücksichtsvoll, gleichberechtigt, nicht fremdbestimmt.“ Man lerne zu führen und zu folgen, sich voreinander zu verneigen, sich zu vereinigen, einander auch zu widersprechen. Es könne „intimste Dichte“, sogar eine „erotische Intensität“ entstehen. Kammermusik transzendiere soziale Rollen und sei so das „utopische Ideal einer zwischenmenschlichen Gemeinschaft“.
Das Arbeiten mit anderen Instrumenten kann wertvolle Anregungen zum Unterrichten geben. Sogar im Solospiel kann eine imaginäre Kammermusikpartnerin den Musiker neue Dimensionen erfahren lassen: Die innere Pluralität der Musik, die verschiedenen Identitäten dessen, was man spielt, wahrzunehmen. Ulrich Mahlert: „Kammermusik sollte eine künstlerische und pädagogische Leitidee sein.“ – Hier wurde auch Kritik an der aktuellen Situation laut: In den Musikschulen wird die Kammermusik durch Breitenarbeit an den Rand gedrängt. Lehrkräfte müssen im Hauruck-Verfahren arbeiten und die Ganztagsschule lässt zu wenig Zeit zum Üben und gemeinsamen Musizieren.
Sybille Cada beschäftigte sich mit der Fehlerkultur in Lernsituationen. Ist ein Fehler immer etwas Negatives? Kann er uns nicht wertvolle Informationen darüber geben, wie wir einen Lernprozess verbessern können? Wie gehen wir mit Fehlern in sozialen Situationen wie zum Beispiel einer Kammermusikprobe um? „Den normativen Fehlerbegriff ‚richtig – falsch‘ sollte es im Musikunterricht nicht geben“, forderte Cada. Sie schlägt eine kreative Interpretation vor: „Fehler ist, wenn etwas fehlt.“ Ein Pädagoge könne Fehler als Bereicherung des Lernens sehen, als Lerngelegenheit, als Aufforderung, eine Fehlerdiagnose zu machen, tiefer in den Lernprozess einzusteigen.
Wir alle sind von unserer „Fehlerbiografie“ geprägt. Das Verhalten der Lehrkraft in Bezug auf Fehler hat Vorbildcharakter für den Schüler oder die Schülerin. Fehler sind eine Herausforderung an die Problemlösungskompetenz beider Seiten, sie können uns helfen, unsere Frustrationstoleranz zu erhöhen. Cada spricht von „Fehleroffenheit“ und „Fehlernutzung“. So kann der Fehler zum Partner werden.
Kammermusik verkörpert laut Arne Torger das Prinzip des Miteinander-Lernens. Gerade die Unterschiede der Instrumente seien eine Chance sowohl für Streicher als auch für Pianisten, einen Schritt weg von der eigenen Begrenzung zu machen, vom anderen Instrument zu lernen, Dinge auszuprobieren, an die man noch nicht gedacht hatte, als „Akt der Freiheit, das Unmögliche zu denken“. Torger forderte dazu auf, bei der Arbeit an einem Kammermusikwerk nicht zu denken, man wisse schon alles, auch nicht den „Minimalkonsens“ zu suchen, sondern den Mut zu haben, wirklich Stellung zum Werk zu beziehen. Wenn man alles vom Ziel her begreife, verkomme „die Kunst der Suche nach dem Sinn, der Bedeutung eines Werks, zur Imitation, zur rein zielgerichteten Arbeit“.
Der Psychoanalytiker und Kinder- und Jugendpsychotherapeut Helmuth Figdor beschäftigte sich mit einem Thema, das Streicher und Pianisten gleichermaßen betrifft, nämlich mit den tief in unserer Psyche verwurzelten Prozessen, die unserem Bedürfnis zu musizieren zugrunde liegen, aber auch den Ängsten und Zwängen, die das Musizieren erschweren oder gar unmöglich machen können. Erfahrungsberichte illustrierten, wie schon das Hören von Musik starke Gefühle und sogar länger andauernde körperliche Symptome hervorrufen kann. Wie kommt es, dass Musik eine so starke emotionelle Wirkung auf uns Menschen hat? Figdor: „Unsere erste Begegnung mit der Welt, schon lange vor der Geburt, ist eine musikalisch-rhythmische.“ Musik sei das erste Medium, das Mutter und Kind verbinde. Das Kind höre und fühle die Stimme der Mutter, ihren Herzschlag, ihre Bewegungen.
Figdor erklärte, wie irreale, starke Gefühle mit Erfahrungen zusammenhängen, die wir vor dem Sprach­erwerb gemacht haben und denen wir darum keinen Namen geben können. Die Musik aber gebe uns die Möglichkeit, solchen vorbegrifflichen Gefühlen einen Ort zu geben. Sie könne unsere komplexe ­Innenwelt, unsere Wünsche, Träume, unser Liebesbedürfnis nach außen, ins reale Leben bringen. „Zur Freude am Musizieren muss Mühe hinzukommen, die Mühe darf aber nicht freudlos sein.“ Voraussetzung für sinnvolle Mühe sei das Wollen. Der Instrumentallehrkraft kommt die Aufgabe zu, ein Engagement der Schülerin oder des Schülers zu erreichen, indem sie entdeckt, was sie oder ihn wirklich bewegt.

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