Juchem, Dirko

Modern Flute Concept

Flöten-Workshop, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: üben & musizieren 1/2012 , Seite 63

Sie kennen das: Gerade hat man etwas höchst Raffiniertes gegessen, von dem man glaubt, es nie im Leben nachkochen zu können, und dann erläutert einem die Köchin in wenigen Worten die offenbar einfache Zubereitung dieses lukullischen Mahls. So ähnlich geht es einem bei der Lektüre des vorliegenden Bandes: Dirko Juchem eröffnet auf einfache, leicht nachvollziehbare Weise den Zugang zur Jazz-, Rock- etc. -Flöte, zur Improvisa­tion und zum faszinierenden Jazz-Flute-Beatboxing!
Der bekannte Künstler greift für die Vermittlung der Spieltechniken und des Hintergrundwissens spürbar auf praxiserprobte Work­shop- und Unterrichtserfahrungen zurück und führt die interessierte Flötistin, die keine Anfängerin auf ihrem Instrument mehr sein sollte, Schritt für Schritt an improvisatorische Spieltechniken heran. Hierzu liegt dem Band eine CD bei, auf der zunächst exemplarisch mit eingespielter Flöte, dann in der Playback-Version Erfahrungen in den einzelnen Stilidiomen gesammelt werden können.
Der Flötenworkshop ist progressiv aufgebaut, kreist aber naturgemäß immer wieder mit vertiefenden Inhalten um die gleichen „Zentren“. An dieser an sich sinnvollen Anlage können sich die Geister scheiden: So fehlt eine klar erkennbare Systematik, bleiben Inhalte überraschend un­verbunden nebeneinander, kann man geteilter Meinung über die Darlegung musiktheoretischer Inhalte sein. Hierzu einige Beispiele: Juchem führt in Part 1 unter „Intonation“ (S. 8) kurz die Bezeichnung Bb ein. Später in Part 2 unter „Who is who?“ (S. 52) gibt es hierzu ein vertiefendes Kapitel. Der guten Ordnung halber wäre an der ersten Stelle ein Querverweis angebracht. Skalen sollen laut Juchem auswendig gelernt werden, was in der Praxis natürlich unverzichtbar ist – der Prozess des Verstehens eines Systems, auch der jeweiligen Stilcharaktere, bleibt im Buch jedoch ausgespart. Wie ist eigentlich eine dorische Tonleiter aufgebaut? Eine pentatonische? Was kennzeichnet einen Rocksong? Funk? Natürlich muss man immer abwägen, wie viel Theorie man in ein Lehrwerk einbaut, was man auch gut an den in der Regel begleitenden Lehrer delegieren darf. Aber das reine „lerne auswendig!“ spricht das Verstehen an sich nicht an.
In den Band eingestreut sind biografische Notizen über „Flute Heroes“. Sich mit ihnen zu befassen, macht Lust auf mehr, gibt Inspiration und Motivation. Aber warum kann man sie nicht mit für sie typischen Stilen, rep­räsentativen Soli verknüpfen? Da übt man gerade eine erste Improvisation mit Dreiklangstönen (S. 16) und stößt auf Yusuf Lateef (S. 17) – warum ihn nicht verbinden mit einem der von ihm beispielhaft geprägten Klang­idiome, so wie es dann z. B. auf Seite 134 bei Greg Pattillo möglich ist?
Trotz der erwähnten Kritikpunkte ist dieser Band ein wunderbarer Einstieg in eine Klangwelt, die für klassische FlötistInnen sonst meist etwas nebulös bleibt. Und wie bei einem raffinierten Gericht: Die Zubereitung kann überraschend einfach sein. Man muss es nur können!
Christina Humenberger