Haas, Elisabeth

Gute Stücke?

Auf der Suche nach Beurteilungskriterien

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2011 , Seite 06

Sollen wir an Bachs Inventionen ­denken und an Beethovens “Für Elise”? Oder an den Beatles-Song “Yesterday”? Sind gute Stücke solche, die aus­nehmend gern am Instru­ment gespielt werden – so etwas wie Lieblingsstücke? Sind gut komponierte Stücke gemeint oder solche, die optimal ihre Funktion erfüllen?

Befragt nach guten Stücken, wäre wohl kaum jemand um eine spontane Antwort verlegen. Ebenso ist anzunehmen, dass jeder Lehrende über einen Pool bevorzugter Kompositionen verfügt – Stücke, die sich schon wiederholt im Unterricht bewährt haben, oder solche, die der Lehrkraft selbst ans Herz gewachsen sind. Im Vergleich mehrerer Violin-, Klavier- oder Trompetenklassen untereinander wird sich jedoch zeigen, dass die SchülerInnen an jeweils unterschiedlicher Literatur lernen. Die Begründung der je getroffenen Auswahl wird aller Voraussicht nach stets anders ausfallen – und das aus guten Gründen.
Im Versuch zu bestimmen, was „Kunst“, was „Musik“ sei, werden sich die Begriffsgrenzen schon bald als brüchig herausstellen.1 Nicht nur im 20. und 21. Jahrhundert fordert die zeitgleiche Ausbildung unterschiedlicher Ästhetiken den Hörern Flexibilität und Offenheit ab. Was als „schön“ zu gelten habe, ist stets aus seiner Geschichte heraus zu deuten. „Kunst“ und „Musik“ sind Begriffe, die verschiedene Bedeutungsvarianten in sich vereinen. Lassen sich angesichts dieser Vagheit überhaupt Kriterien „guter Stücke“ beschreiben?
Ein verbindlicher Kriterienkatalog wird unter solchen Voraussetzungen nicht zu erstellen sein. Allerdings sei hier an ausgewählten Stücken versucht, was im Großen nicht zu leisten ist. Anhand dreier Kompositionen – „Hits“ der Unterrichtsliteratur – möchte ich auf Besonderheiten hinweisen, auf Facetten der jeweiligen Werkindividualität. Die Stücke sind zwar stilistisch verschieden, jedoch vergleichbarer Tradition und vergleichbarem Kunstdenken verpflichtet. Innerhalb dieses spezifischen historischen (wie auch sozialen und funktionellen) Kontextes werden sich in der Folge einige Qualitätskriterien ableiten lassen. Diese sind allerdings nicht beliebig übertragbar. Bestimmungen, ob es sich um gute oder schlechte Musik handelt, werden letztlich immer nur im Rahmen solcher Grenzen möglich sein. Denn was bei diesen Stü­cken auf deren Qualität verweist, mag bei anderer Musik keine Rolle spielen.2

Béla Bartók: „Tanzlied“ aus den 44 Duos für zwei Violinen

Der kleine Tanz aus Máramaros ist das 32. der 44 Duos für zwei Violinen, die Béla Bartók auf Anregung des deutschen Musikpäda­gogen Erich Doflein schrieb. Erich und Elma Doflein, Herausgeber des Geigenschulwerks, waren in den späten 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf der Suche nach Musikstücken in neuer Tonsprache, spielbar selbst für noch nicht allzu fortgeschrittene SchülerInnen. Bei Bartók stießen sie mit ihrer Anfrage auf offene Ohren, hatte dieser doch schon mehrfach Musik mit didaktischer Intention komponiert.
Die Violinduos entstanden 1931/32 und basieren weitgehend auf Volksliedern und -tänzen. Sie gründen in Bartóks musikethnolo­gischem Interesse und verdanken sich dem Rückgriff auf nationale Musiktraditionen. Aus eben diesem Grund mag für SchülerInnen anderer Kulturkreise, denen dieses musiksprachliche Idiom fremd ist, ein unmittelbarer Zugang zu diesen Stücken erschwert sein. Beim Tanzlied liegt ein Anknüpfungspunkt jedoch in dessen vitalem Rhythmus: Die beständige Wiederholung zweier Rhythmusmodelle, einander zu fast durchgängiger Achtelbewegung ergänzend und dennoch synkopische Kraft durch Akzentsetzung (sf) entfaltend, lassen die Hörerin oder den Spieler geradezu in einen rhythmischen Taumel geraten.

1 Zur Problematik der Bestimmung ästhetischer Grundbegriffe siehe u. a. Ulrich Pothast: „Krise der ästhetischen Grundbegriffe? Bemerkungen zu einem nur scheinbar neuen Problem“, in: Marie-Agnes Dittrich/ Reinhard Kapp: Anklaenge 2010. Wiener Jahrbuch für Musikwissenschaft, Wien 2011, S. 181-189.
2 Grundsätzliche Überlegungen zur Problematik der Abgrenzung zwischen guter und schlechter Musik siehe: Hans Heinrich Eggebrecht: „Gute und schlechte Musik“ sowie Carl Dahlhaus: „Gute und schlechte Musik“, in: dies.: Was ist Musik?, Wilhelmshaven 1985, S. 79-87 und S. 88-100.

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