Fischer, Renate

Singen Bewegen ­Sprechen

Musik machen in Kita und Krippe, mit 2 CDs

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 4/2011 , Seite 52

Die zwei Neuerscheinungen mit nahezu demselben Titel von Norbert Huppertz und Renate Fischer haben durchaus verwandte Intentionen, ergänzen sich teilweise sogar sinnvoll, weisen aber darüber hinaus ein völlig unterschiedliches Erscheinungsbild auf. So werden sie auch verschiedene Zielgruppen ansprechen und die Schnittmenge derer, die sich beide Bücher zulegen, wird eher klein sein.
Beide AutorInnen sind gleichermaßen bemüht, dem Singen, Bewegen und Sprechen einen prominenteren Raum im Bereich von öffentlichen Einrichtungen für Kinder ab eineinhalb Jahren, vor allem im Vor-, aber auch im Grundschulbereich einzuräumen. Dieses Bemühen ist nicht neu, denn gerade die Elementare Musik- und Bewegungserziehung im Sinne Carl Orffs hatte schon in den späten 1960er Jahren Eingang in die bayerischen Grundschulen gefunden, als ein Memorandum Orffs dazu führte, dass ein eigenes Unterrichtsfach „Musik und Bewegung“ eingerichtet wurde. Wie so vieles fiel dieses Fach nach und nach wieder dem Sparstift zum Opfer.
Umso begrüßenswerter, dass das Land Baden-Württemberg jetzt ein ähnliches Projekt fördert, wenn es auch dort vor allem um Steigerung der Schulfähigkeit mit Hilfe von Musik und Bewegung geht. Huppertz stellt einen Bericht über die zweijährige Erprobungsphase des neuen Bildungsmodells „Singen – Bewegen – Sprechen“ vor und verbindet die Darstellung der wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Erlebnisberichten der beteiligten Pädagoginnen aus Kindertageseinrichtungen und Musikschulen. Diese arbeiten bei dem Bildungs­modell kooperierend Hand in Hand, was den berichteten Erfolg sicher vor allen anderen Aspekten gesichert hat.
Norbert Huppertz ist Professor für Allgemeine Pädagogik, vermag es aber durchaus auch, sich intensiv der spezifischen Fragestellung dieses musisch-ästhetischen Projekts mit jungen Kindern zu stellen. Dennoch ist dieses Handbuch nicht als Fachbuch der Elementaren Musikpädagogik zu verstehen, denn dazu mangelt es an facheinschlägigen Beiträgen – insbesondere, was die Darstellung der so genannten „Didaktischen Einheiten“ betrifft, die Thema, Inhalte und Ziele beschreiben. Das wirkt eher wie ein großes buntes Sammelsurium unter dem Motto „anything goes“. Verwirrend auch, was unter „Methoden“ verstanden wird, wenn darunter musik- und bewegungsorientierte „Inhalte“ – wie Singen, Tanzen, Inst­rumente spielen – aufgeführt und vermischt werden mit Spiel- und Gestaltungsideen wie Dirigierspiel, Ratespiel, Rollenspiel, Trommelspiel. Huppertz ist bemüht um einen Spagat zwischen Forschungsbericht und Praxisbuch – und der gelingt nicht immer überzeugend.
Hier sollten sich PraktikerInnen mit Fragen an die Didaktik ihres Arbeitsfelds eher dem Buch von Renate Fischer zuwenden, die äußerst fundiert die Möglichkeiten einer Elementaren Musikpädagogik in Kitas und Krippe umreißt und dabei gut ausbalanciert theoretische Grundlagen mit einer Fülle von praktischen Anregungen anbietet. In den beiden ersten Kapiteln „Dem Singen auf der Spur“ und „Lieder gestalten“ erfahren wir auf rund 50 Seiten eine Menge über die Entwicklung der Stimme, der Sprache, der Motorik, des Singens, Sprechens und Bewegens sowie über die Vielfalt der spielerischen und gestaltenden Mög­lichkeiten rund um Lieder und Texte. Das dritte Kapitel umfasst übersichtlich angeordnet und sinnvoll strukturiert eine „thematisch geordnete Zusammenstellung von 114 Liedern mit Spiel- und Gestaltungsideen“, wie Fischer schreibt und sich wünscht, dass diese „anregen [sollen], mit den Kindern singend in einen Dialog zu treten, Ideen weiterzuentwickeln und Neues auszuprobieren“.
Aus Fischers Werk spricht auf jeder Seite Kompetenz und Erfahrung und ihr besonderes Talent, dem auf hohem Niveau sprachlich Ausdruck zu verleihen. Das Buch ist anregend illustriert und mit aussagestarken und teilweise berührenden Fotos versehen. Die zwei beiliegenden CDs bieten Pädagoginnen in Kitas die wichtige Möglichkeit, sich die Lieder auch ohne Notenkenntnisse zu erarbeiten. Sie sind musikalisch schlicht, aber anregend gestaltet: eine Frauen- und eine Männerstimme wechseln sich ab, begleitet werden die Lieder im Wechsel mit Klavier, Gitarre, Akkordeon und diversen Instrumenten des elementaren Instrumentariums.
Huppertz’ Buch liegt eine DVD bei, die das Modellprojekt „Singen – Bewegen – Sprechen“ bebildert und der Intention, ein Dokumentations- und Lehrfilm zu sein, durchaus gerecht wird; jedoch eher ein Lehrfilm dafür, ob man sich als Einrichtung für die Übernahme des Projekts entscheidet, nicht unbedingt als Best-Practice-Beispiel für die praktische Umsetzung mit Kindern oder Erzieherinnen im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen. Diesen Anspruch erhebt der Autor auch nicht.
Grundsätzlich ist das Bildungsmodell „Singen – Bewegen – Sprechen“ für Kinder in Baden-Württemberg (und vielleicht ja auch bald in anderen Bundesländern) ein bedeutsames Projekt und konnte in seiner Erprobungsphase – laut vorliegendem Bericht von Norbert Huppertz – wohl äußerst erfolgreich durchgeführt werden. Nutzen die Pä­dagogInnen vor Ort jetzt noch stärker das Angebot, das z. B. durch die neue Veröffentlichung von Renate Fischer vorliegt, können sich die Kinder wirklich freuen: Es wird wieder mehr mit ihnen gesungen, getanzt, gespielt und gesprochen – ob das jetzt „nur“ Freude macht oder außerdem noch fit für die Schule und das Leben im Allgemeinen, ist den Kindern ohnehin egal!
Manuela Widmer