Dömling, Wolfgang

Franz Liszt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. H. Beck, München 2011
erschienen in: üben & musizieren 4/2011 , Seite 56

Das Jahr 2011 sucht seinen Superstar? Glücklicherweise wirbt die erste der beiden vorliegenden Publikationen mit keinerlei marktschreierischem Untertitel. Vielmehr prägen Verständnis, Fachkompetenz und ein unaufgeregter Erzählton die aus Anlass des Liszt-Jahres erschienene Pub­likation des Hamburger Emeritus und Liszt-Experten Wolfgang Dömling. Hier geht es um einen Künstler, der alles war – Wunderkind, Salonlöwe, größter Pianist seiner Zeit, Komponist, Dirigent, Förderer, Pädagoge, Philanthrop, Gottsucher – und zugleich noch heute vielen Musikfreunden suspekt erscheint.
Dömlings Buch ist geeignet, manches schräge Liszt-Klischee zu begradigen: Nicht allein mit ei­nem egomanischen Klavierdonnerer und Womanizer und ebenso wenig mit einem dogmatischen Anhänger wagnerscher Zukunfts­musik haben wir es zu tun, sondern mit einem Mann, dessen Bildung und Anspruch einen weiten Horizont umfasste.
In sieben Kapiteln folgen wir Liszts Lebenswegen – aus der österreichisch-ungarischen Provinz über Paris, die Schweiz, Italien, Weimar und Budapest bis nach Rom. Währenddessen rückt Dömling manche Legende gerade: etwa jene, dass Liszt die so genannten Niederen Weihen aus Berechnung, auf eine Anstellung im Vatikan spekulierend, empfangen habe. Als Leser erhalten wir einen komprimierten, vor allem aber unverstellten Blick auf Leben und Werk Franz Liszts. Der Autor stellt zumal Werkgruppen wie die Ungarischen Rhapsodien und die Sinfonischen Dichtungen – teils belächelt, teils verachtet – in den angemessenen historisch-ästhetischen Kontext und lässt ihnen so Gerechtigkeit widerfahren. Trotz sparsamster Literaturhinweise kann dieser Band im Kontext der aktuellen Liszt-Veröffentlichungen als zuverlässige Informationsquelle sehr empfohlen werden.
Nahezu vier Mal so dick wie Dömlings Buch ist Oliver Hilmes’ Biografie, doch wäre es vermessen, allein aufgrund der Körperfülle vierfachen Erkenntnisgewinn zu vermuten. Hohe Erwartungen weckt der Verlag indes schon, wenn er verspricht, Autor Hilmes beantworte „die Frage, wer dieser Liszt wirklich war“ und entschlüssele „die Bedeutung seiner kühnen Musik“. – Musik? Als Leser hat man kaum je das Gefühl, die Lebensgeschichte eines Komponisten vor sich zu haben. Von Musik ist nur marginal die Rede, und wenn, dann in Form wiedergekäuter Floskeln und Worthülsen: Dass in Les jeux d’eaux à la Villa d’Este „impressionistische Klangfarben und ara­beskenhafte Figuren […] das Spiel des Wassers ein[fangen]“, hat man so oder ähnlich schon einmal gelesen. Auch kurze Erwähnungen etwa der h-Moll-Sonate oder des Totentanzes erschöpfen sich in Allgemeinplätzen.
Nein, um Musik geht es in diesem gewiss gründlich recherchierten und elegant geschriebenen Buch nur am Rande. Vielmehr zielt das Bemühen des ­Autors (Die Welt nennt ihn das „Wunderkind unter den deutschen Biografen“) dahin, aus gegebenem Anlass den ultimativen Bestseller zu landen, ausgestattet mit einem gerüttelt Maß Erotik. Und so lesen wir lange Passagen über periphere Figuren wie Olga von Meyendorff, Agnes Street-Klindworth, Olga Janina, entsprechend noch viel längere über die Gräfin d’Agoult, die Fürs­tin Sayn-Wittgenstein und warten sehnsüchtig auf die Einlösung eines Autoren-Versprechens: die Enthüllung der vielen Masken jenes Mannes, der – so fasst Hilmes dessen Lebensleis­tung zusammen – „die Musik revolutionierte und die Frauen verführte“.
Fehlanzeige! Eingerahmt von Plattitüden („Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben.“; „Aber was, wenn es gerade diese scheinbar unauflösbaren Widersprüche waren, die seine Persönlichkeit ausmachten?“) empfängt uns eine boulevardeske Biografie, die Liszt zum Liebling der Yellow Press, zum Ahnherrn der Karajans, Netrebkos und Michael Jacksons stilisiert.
Oliver Hilmes schreibt Wälzer im Rekordtempo: Nach wohlrezensierten Büchern über Alma Mahler und Cosima Wagner (2004, 2007) und dem mäßig aufgenommen Werk Cosimas Kinder (2009) nun also ein konjunkturgeneriertes Buch über … wen eigentlich?
Gerhard Anders