Petersen, Peter

Musik und Rhythmus

Grundlagen, Geschichte, Analyse

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 4/2011 , Seite 56

Das vorliegende Buch ist eine Veröffentlichung von besonderem Rang. Peter Petersen, emeritierter Professor für Musikwissenschaft an der Universität Hamburg, hat darin seine langjährigen Studien zum musikalischen Rhythmus zusammengefasst und diesen grundlegenden Aspekt der Musik erstmals umfassend analytisch und methodisch dargestellt.
Auf einem Problemfeld, das die Praxis und Theorie der Musik seit über zwei Jahrtausenden beschäftigt, zu einem Neuansatz zu gelangen, fordert Bewunderung heraus. Und dies um so mehr oder gerade deshalb, weil Petersen sich nicht in einer schwer verständlichen Theorie verliert, sondern systematisiert, benennt und zusammenführt, was sensiblen Musikhörern andeutend bewusst ist und was jeder ausübende (und lehrende) Musiker, seiner künstlerischen Empfindung folgend, nach Möglichkeit zu realisieren sucht.
Innovativ ist Petersens Theorie insofern, als alle musikalischen Parameter (er bezeichnet sie als „Komponenten“) konsequent und detailliert in die rhythmische Analyse integriert werden. Und die daraus resultierende „Komponententheorie“ erweist sich als ein wirkungsvolles Inst­rument, nuanciert abgestufte und oft sich überschneidende rhythmische Strukturen, selbst in einfach geformten Kompositionen, einfühlsam zu verdeutlichen.
Entscheidend hierbei ist der Blick auf rhythmische Relationen, die nicht unmittelbar aus den Tondauern in ihrem Verhältnis zur Taktmetrik hervorgehen. Klänge und Klangfarben, Tonhöhen und Melodieverläufe, Artikulation, Dynamik, Harmonik, satztechnische Textur (Homofonie, Polyfonie, Satzdichte, Haupt- und Begleitstimmen, Instrumentierung usw.), Phrasenbildungen und Texte in Vokalwerken werden so zu Teilbereichen der rhythmischen Analyse. Deren Ergebnisse notiert Petersen in einer sinnfälligen „Rhythmuspartitur“ des jeweils betrachteten Werkausschnitts, die zumeist ein weit gefächertes Zeitgefüge ins Bild bringt, das ein guter Musiker, wie Petersen betont, zwar intuitiv erkennt, das aber bislang in keiner Rhythmustheorie sys­tematisch entwickelt wurde.
Ein zweiter zentraler Punkt ist die „Gewichtung“ dieser Komponenten, die auf unterschiedliche Weise zusammenwirken und teils durch Ballungen markante rhythmische Schwerpunkte hervorbringen, teils durch ineinander fließende oder gegeneinander verschobene Formungen schwächere Akzentuierungen ausbilden. Das ergibt ein komplexes Wechselspiel kleingliedriger und vor allem großflächiger Werkstrukturen, die anhand der grafisch verständlichen Rhythmus­partituren eine vertiefte Werk­interpretation ermöglichen.
Übersichtlich und sachangemessen ist das von Anfang bis Ende interessante Buch in drei große Teile untergliedert. Der erste Teil exponiert die Komponententheorie, der zweite Teil exemplifiziert sie an der Musik Johann Sebastian Bachs, u. a. an sämtlichen 48 Fugenthemen des Wohltemperierten Klaviers, und der dritte Teil referiert auf über 100 Seiten 36 „Rhythmustheorien“ von Michael Praetorius (Vorwort zu Terpsychore, 1612) bis zu Jus­tin London (Hearing in Time, 2004) in einer informativen Betrachtungsweise, die Petersens eigene Methoden an vielen Beispielen der Autoren ergänzend und erweiternd einbezieht.
Überzeugend schließlich ist der klare, unprätentiöse Stil des Autors und seine außergewöhnliche und detaillierte Kenntnis von Kompositionen aller europäischen Epochen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, an denen immer wieder andere Phänomene aufgezeigt werden. Die Fülle und zeitliche Streuung der Beispiele über acht Jahrhunderte weist den intimen Kenner jeder Art von abendländisch mehrstimmiger Musik aus, wobei die Subsumierung unter bestimmte rhythmische Analysekategorien die jeweilige historisch bedingte stilis­tische Eigenart nirgends außer Acht lässt.
Peter Schnaus