Gasenzer, Elena Romana

Blockflöte mit links

Gedanken zur Anfertigung einer Linkshänder-Blockflöte

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2011 , Seite 48

Linkshändigkeit ist heute im Allgemeinen gesellschaftlich akzeptiert. Beim Erlernen der meisten Instrumente können Linkshänder jedoch Probleme bekommen und ziehen Umbauten in Betracht. Doch wie sinnvoll sind zum Beispiel Block­flöten für Linkshänder?

Das Problem der Linkshändigkeit betrifft bei Weitem nicht nur den Inst­rumentalunterricht auf der Blockflöte. Beim Erlernen von anderen Instrumenten stehen SchülerIn und Lehrkraft vor dem gleichen Prob­lem. Viele Instrumente bieten bautechnisch die Möglichkeit von Modifikationen zugunsten der Linkshändigkeit. Jochen Blum weist auf den erfolgreichen Lernverlauf einer Violinschülerin hin, die wegen eines fehlenden Kleinfingers der linken Hand die Saiten der Violine mit der rechten Hand griff und mit links den Bogen führte.1 Weil jedoch die Blockflöte als Anfangsinstrument nach wie vor weit verbreitet ist und auch im Klassenverband erlernt wird, soll sie an dieser Stelle ­exemplarisch für die besonderen Anforderungen der Linkshändigkeit im Instrumentalunterricht stehen.
Schätzungsweise jeder zehnte Mensch ist Linkshänder. Verschiedene anthropologische Untersuchungen zeigen, dass dies auch in prähistorischer Zeit so war. Die genaue Häufigkeit ist unbekannt, weil in verschiedenen Untersuchungen auch unterschiedliche Kriterien zugrunde gelegt wurden. Demnach schwankt die Häufigkeit zwischen zehn und 30 Prozent eines Geburtsjahrgangs. Dabei muss betont werden, dass Händigkeit kein absoluter Begriff ist. Manche Menschen sind vollkommen linkshändig, das heißt sie verrichten alle einhändigen Tätigkeiten mit der linken Hand. Andere können eine Reihe von Tätigkeiten wie Hämmern, Fäden einfädeln, Zähneputzen oder Ballwerfen mit beiden Händen verrichten. Die meisten Menschen (bis zu 89 Prozent) benutzen auch für diese Aktivitäten ausschließlich die rechte Hand. Es gibt jedoch auch Menschen, die mit der linken und mit der rechten Hand schreiben können.2

Was ist ­Linkshändigkeit?

Warum es bei der Entwicklung eines Menschen zu diesem Phänomen kommt, ist ungeklärt. Die Theorien zu Entstehung der Linkshändigkeit reichen von Umweltfaktoren über genetische Dispositionen bis zu anatomischen Anomalien oder hormonellen Ursachen. Einigkeit herrscht darüber, dass das Gehirn des Linkshänders anders organisiert ist.3 Fest steht, dass die linke Hirnhemisphäre bei den meisten Menschen die dominante Hemisphäre ist: Bei über 95 Prozent der Rechtshänder und bei 70 Prozent der Linkshänder sind beide Sprachzentren in der linken Hemisphäre organisiert. Bei den übrigen 30 Prozent der Linkshänder fand man in verschiedenen Studien eine beidseitige Repräsentation der Sprache.4
Hinsichtlich der Sprachrepräsentation sind also Linkshänder kaum von Rechtshändern zu unterscheiden. Klinische Studien an Schlag­anfallpatienten zeigen jedoch eine andere Situation: Demnach haben Linkshänder, die durch einen Schlaganfall einen teilweisen oder kompletten Verlust der Sprache erlitten hatten, eine sehr viel bessere Prog­nose als Rechtshänder.5 Die Erholung geschädigter Funktionen nach einer Hirnverletzung hängt davon ab, inwieweit diese Funktionen von anderen, gesunden Hirnteilen übernommen werden können. Sollte bei Linkshändern die Sprache tatsächlich bilateral repräsentiert sein, so hätte ein Linkshänder diesbezüglich im Fall einer Verletzung eine viel größere „Reserve“ als ein Rechtshänder.
Unbestritten ist heute, dass Linkshändigkeit von Eltern und ErzieherInnen akzeptiert werden muss. Noch bis in die 1970er Jahre wurde von vielen Eltern und PädagogInnen die Ansicht vertreten, dass es besser sei, mit der rechten Hand schreiben zu lernen. Daher wurde in Grundschulen oftmals versucht, linkshändige Kinder „umzuschulen“ und sie an das Schreiben mit der rechten Hand zu gewöhnen. Als Folge fiel auf, dass viele dieser Kinder deutlich schlechtere Leistungen erbrachten. Heute ist bekannt, dass eine solche Umgewöhnung eine totale Neuorganisation der Hirnrinde erfordert, was besonders Kinder während der Wachstumsphase für Jahre in ihrer Entwicklung beeinträchtigen kann. Aus diesem Grund hat die Grundschulpädagogik von dieser Praxis Abstand genommen.

1 vgl. Jochen Blum: Medizinische Probleme bei Musikern, Stuttgart 1995, S. 58 ff.
2 vgl. Brian Kolb/Ian Q. Whishaw: Neuropsychologie, Heidelberg 1993, S. 184 ff.
3 vgl. Manfred Spitzer: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk, Stuttgart 2003, S. 194 ff.
4 vgl. Peter Berlit: Basiswissen Neurologie, Heidelberg 52007, S. 342.
5 vgl. Alexander Romanovich Luria: Traumatic Aphasia. Its Syndromes, Psychology and Treatment, Den Haag 1970.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2011.