Knodt, Peter

Erste Hilfe aus dem Materialkoffer

Wie mit zusätzlichen Hilfsmitteln der Instrumentalunterricht lebendiger gestaltet werden kann

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 12

Der Einsatz von Hilfsmitteln im Instrumentalunterricht kann positive Entwicklungen bei SchülerInnen und Lehrkräften anstoßen. Mit dem Konzept des Materialkoffers können solche Lernchancen systematisch ermöglicht werden. Wer es geschafft hat, den ersten Schritt zu machen, seinen Koffer einzurichten und in den Unterricht mitzubringen, profitiert unmittelbar davon. Sobald die Materialien tatsächlich greifbar sind, werden sie im Unterricht auch genutzt.

Man kann es sich so vorstellen: In einem Koffer befinden sich zahlreiche Materialien, die als Hilfsmittel im ­Instrumentalunterricht verwendet werden können. Die Aufbewahrung in einem (geschlossenen) Koffer erlaubt es den (möglicherweise neugierig gewordenen) SchülerInnen, Koffer und Inhalt selbst zu erobern und zu erforschen. Ebenso können die LehrerInnen aber auch gezielt für einen bestimmten Schüler und die Situation geeignete Hilfsmittel aussuchen. Der Name Materialkoffer darf je nach Unterrichtssitua­tion auch Erste-Hilfe-Koffer, Magic Koffer, Zauberkoffer, Rettungskoffer oder Der Geheimnisvolle Koffer sein. Die bunte Vielfalt des Inhalts sorgt für ausreichenden Anreiz und erzeugt Neugier und Interesse, sich mit den Materialien zu beschäftigen. Durch gezieltes Anpassen und Erweitern der Materialien können die Hilfsmittel zunehmend schülerorientiert ausgewählt werden.
Der Inhalt eines solchen Koffers könnte etwa folgendermaßen aussehen: Tennisbälle, Tischtennisbälle, Hacky Sacks,1 Golfbälle, Ballons, Watte, Rhythmusbilder, Rhyth­muskarten, Rhythmusspiele, grafische Notationen, Met­ronom, Flip-a-rhythm,2 Musikrätsel, schriftliche Musikaufgaben, Trainingskassetten/-CDs, Aufnahmegerät, Abspielgerät, CDs, DVDs, Kopfhörer, Literatur aller Art, Play-alongs, Anleitung zum Vom-Blatt-Spiel, Papier und Stifte, verschiedenartige Papiere, Notenpapier, Lernissimo®-Übekarten,3 farbige Klebestreifen, Spielzeugtiere, Bilder, Fotografien, Kunstbände, Postkarten, Spiegel, Perkussionsinstrumente, Kerzen, Tücher, Feuerzeug, Stimmgerät, Stimmgabel, Fach­literatur zu Instrumenten, Komponisten­porträts, Apfel, (Trink-)Wasserflasche, Mütze (wer sie auf hat, führt im Ensemble), Instrumentenpflege­material, instrumentenspezifisches Zusatzmaterial (z. B. für Bläser: Flow-Ball,4 Windrad, Wasserflasche mit Stroh­halm, Dämpfer, Mundstücke, Spritze, BERP,5 MACK6) etc. Der Materialkoffer unterstützt die pädagogische Perspektive,
– den Unterricht mit methodischer Handlungsbreite zwischen Lenkung durch die Lehrkraft und selbsttätig agierenden SchülerInnen flexibel zu variieren. Dies ist insbesondere auch für den Gruppenunterricht wertvoll.
– für eine der Unterrichtssituation angemessene und schülerorientierte Unterrichtsdidak­tik und -methodik zu sorgen.
– durch die Schaffung von Fakten, in Form von direkt greifbarem Material, die eigene Unterrichtsgestaltung vielfältiger und lebendiger zu machen.
– Übekompetenz durch den für autonomes Üben und Musizieren wichtigen Erwerb von Lernstrategien in Verbindung mit Hilfsmitteln zu erlangen.

Zwischen Anleitung und selbstständigen Lernerfahrungen

Meiner Erfahrung nach wird eine schülerzent­rierte Unterrichtsgestaltung weniger häufig praktiziert als stark durch die Lehrkraft gelenkter Unterricht. Dabei kann dieser gelenkte Unterricht durchaus an den SchülerInnen orientiert sein und ihnen gute Lernbedingungen bieten. Als eine ein Lehrerleben lang für alle SchülerInnen und Unter­richtssituationen gleichermaßen häufig durchgeführte Praxis ist er allerdings oftmals nicht die beste Lösung.
Ein attraktiver Materialkoffer bietet Chancen, das verfügbare methodische Handlungsrepertoire zu erweitern. Er lässt sich sowohl für das Entdecken-lassen als auch für selbstständig zu lösende Aufgaben gut einsetzen – Methoden, bei denen SchülerInnen in hohem Maße selbsttätig aktiv sein können. Forschergeist, Neugier und Kreativität der SchülerInnen sind gefordert, wenn die Lehrkraft auf ihre Frage „Was ist denn da drin?“ oder „Was ist denn das da für ein Koffer?“ ermutigend antwortet: „Finde es selbst heraus!“ Und später: „Wozu könntest du das beim Üben verwenden?“

1 Der Hacky Sack ist ein kleines, mit Granulat oder Sand gefülltes Stoffsäckchen, das allein oder zu mehreren mit Beinen und Füßen ­gespielt wird. Das Spiel (allgemein auch als Footbag bezeichnet) hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Mode entwickelt und ist vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt.
2 Sheila Nelson: Flip-a-rhythm. Das optimale Rhythmus-Spiel – ein ideales Training für jeden Musiker!, Vol. 1+2/ Vol. 3+4, London 1995 und 1998.
3 vgl. www.lernissimo.com
4 Der Flow-Ball ist ein kleines und preiswertes Atemtrainingsgerät, das durch seinen Spielzeugcharakter besonders für junge Blasmusiker, die gerade erst mit dem Musizieren begonnen haben, geeignet ist.
5 BERP (= Buzz Extension and Resistence Piece) ist ein Ansatz-Trainingsgerät für BlechbläserInnen; vgl. www.berp.at
6 Der MACK ist ein Ansatztrainer zur optimalen Kontrolle des Luftstroms und wird von seinem Entwickler Holger Mack als Weiterentwicklung des BERP bezeichnet; vgl. www.dowids.de

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2010.