Großmann, Linde

„Zur Hölle mit dem Metronom!“

Über den Nutzen des Metronoms und Irrtümer bei seiner Verwendung

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 24

Dieser Beitrag beschäftigt sich vorrangig mit dem Metronom als päda­gogischem Hilfsmittel. Hinsichtlich der Geschichte des Metronoms und seiner Vorgänger sowie aufführungs­praktischer Aspekte sei auf die einschlägigen Lexika und Artikel verwiesen. Bemerkungen zur Unter­richtspraxis beziehen sich in der Regel auf den Klavierunterricht.

Zur Hölle mit dem Metronom!
Wer das richtige Gefühl hat,
braucht keines, und wer das
richtige Gefühl nicht hat,
dem nutzt es auch nichts.
(Ludwig van Beethoven)

„Der Metronom, sein Knacken. Wie halten musikalische Ohren ihn aus? (Oder sind musikalische Ohren anders als musikalische Seelen?) … Kaum war ich seinem systematischen Kna­cken unterworfen, begann ich ihn zu hassen und zu fürchten, daß mir das Herz pochte, erstarrte, erkaltete. … Jemand steht über deiner Seele und treibt dich und hält dich fest, läßt dich weder atmen noch schlu­cken. … Der Metronom war – ein Sarg und in ihm wohnte der Tod. Über dem Schrecken des Lautes vergaß ich sogar den Schrecken des Anblicks: ein stählerner Stock, der hervorkommt wie ein Finger und mit manischer Sturheit hinter dem lebendigen Rü­cken pendelt. … Und wenn plötzlich das Werk nicht abläuft, nie mehr abläuft, und wenn plötzlich ich vom Hocker nicht aufstehe, nie wieder hervorkomme unter dem Tik-tak-tiktak…?“1
Die Verfasserin dieser beklemmenden Kindheitserinnerungen – die bedeutende russische Dichterin Marina Zwetajeva (1892-1941) – berichtet aber auch von einem ganz anderen Verhältnis zum Metronom: „Den Metronom hatte ich sogar einmal geliebt, vor dem 4. Lebensjahr, fast genauso wie die Uhr mit dem Kuckuck, und für dasselbe: dafür, daß in ihm auch jemand wohnt, wobei ich freilich nicht wußte, wer, denn ich benutzte ihn, im Haus, als erste.“2 Die letzte Bemerkung ist aufschlussreich, denn Marina Zwetajeva war keineswegs die einzige Person im Haus, die ein Instrument spielte. Ihre Mutter war eine begeisterte Pianistin, die nur durch ihre Herkunft aus „guter Familie“ daran gehindert worden war, eine professionelle Musikerin zu werden. Offenbar hat sie selbst das Metronom beim eigenen Spielen nicht benutzt. Bei ihren – wie man erfährt gründlich misslungenen – pädagogischen Versuchen bei den eigenen Kindern spielte das Metronom anscheinend eine dominierende Rolle und es ist nicht zu übersehen, dass die angestrebte Disziplin die Kinder immer weiter weg von der Musik führte.

Relativiert werden scheinbar eindeutige ­Metronomangaben dadurch, dass es teilweise unterschiedliche Angaben der Komponisten zu den gleichen Stücken gibt und dass Kompo­nisten bei Aufführungen eigener Werke durchaus nicht immer die eigenen Metronomzahlen realisieren.

Bis heute spielt das Metronom eine große Rolle in der Musizierpraxis und es dürfte nicht wenige LaienspielerInnen geben, die zumindest zwie­spältige Erinnerungen an die Zeit ihres Unterrichts haben, wenn das Met­ronom als strenger Richter das häusliche Üben reglementierte.
Offenbar wird das Metronom seit seiner Erfindung durch Mälzel am Anfang des 19. Jahrhunderts (1815) für zwei ganz unterschied­liche Ziele verwendet, wobei das zweite vermutlich vom Erfinder nicht beabsichtigt war: Einerseits verwenden es die Komponisten zur Verdeut­lichung ihrer Tempovorstellungen, andererseits dient es bis heute als pädago­gisches Mittel, um beim Spieler das Beibehalten des jeweils gewählten Tempos zu gewährleisten bzw. zu kontrollieren sowie die „Gleichmäßigkeit“ technischer Abläufe zu trainieren.

1 Marina Zwetajeva: Ausgewählte Werke, Band 2: Prosa, Mutter und die Musik, Berlin 1989, S. 29 f.
2 ebd.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2010.