Steffen-Wittek, Marianne

Deutsche Freude kennt keinen Spaß

Spaß zwischen Geschäft und Ideologie

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 50

„Spaßgesellschaft“, „Spaßpäda­gogik“ – Marianne Steffen-Wittek plädiert dafür, genau hinzuschauen, wenn die einen mehr Ernst und Leistungswillen, die anderen mehr spielerisches Lernen fordern. Beide Parteien kritisieren den Bildungs­betrieb falsch.

Der Begriff „Spaßpädagogik“ wurde anlässlich der PISA-Studien im vergangenen Jahrzehnt immer wieder aufgegriffen.1 Er wird ebenso polemisch wie „Spaßgesellschaft“ verwendet, taugt aber als Kritik an dem schlecht bedienten Bildungsinteresse von Kindern und Erwachsenen nicht. Gilt der Spaßfaktor im Bildungssektor den einen als geeignetes Mittel, Kinder zum Mitmachen bei der Lernkonkurrenz zu überrumpeln, so sehen andere darin den bloßen Zeitvertreib, dem es an all den schönen Anpassungstechniken wie Fleiß, Anstrengung und Ausdauer fehlt. Gemeinsam ist beiden Parteien, dass sie die tatsächlichen brutalen Zwecke von Schule und Bildungspolitik nicht kritisieren und sich lediglich um die Methoden eines akzeptierten Sortierungsverfahrens streiten.
Mit dem Spaß lässt sich so oder so ein gutes Geschäft machen: Der Vergnügungsmarkt zählt zu den Wachstumsbranchen. Dass das Treiben im Sport-, Spiel- und Kulturbetrieb brachial ist, dürfte nicht erst seit dem Mord an dem Fußballer Andrés Escobar2 oder der Katastrophe der Duisburger Loveparade3 bekannt sein.
Eine Kritik an den Grundlagen des Geschäftslebens ist von den Feuilletons allerdings nicht zu erwarten. Lieber fallen Kultur- und Gesellschaftskritiker über die so genannte Spaßgesellschaft her und erklären damit keinen einzigen Grund für den trost­losen Umgang mit Arbeit, Spiel und Spaß in dieser Gesellschaft.

Spaß und Geschäft

Wer das Singen und Instrumentalspiel zum Beruf macht, konkurriert in der Domäne des Vergnügens um Marktanteile. Ob es sich dann sehr gut, auskömmlich, kaum oder gar nicht davon leben lässt, hängt von der Marktlage ab. Berufsmusiker arbeiten an der körperlichen und geistigen Formierung zwecks Erhalt und Steigerung ihrer Spielfertigkeit, sie müssen Erfolge vorweisen und fügen sich den schäbigen Gesetzen des Marktes.
Das Metier, in dem sie zu Hause sind, wird zum Produkt, das ständig auf seine Markttauglichkeit hin überprüft werden muss. Martin Tröndle, Juniorprofessor für Kulturbetriebslehre und Kunstforschung, warnt: „Nimmt man die teil-repräsentativen Studien ernst, kann es sein, dass in den nächsten 30 Jahren das Klassik-Publikum um bis zu 40 Prozent zurück gehen wird. […] Die Klassik ist nicht gefährdet. Das ist reiche, ganz unterschiedliche Hörer ansprechende Kunst. Nicht die klassische Musik ist in der Krise, sondern ihre Darbietung. Betriebswirtschaftlich gesprochen müssen wir nicht die Kunden verändern, sondern das Produkt.“4

1 vgl. Josef Kraus: Spaßpädagogik. Sackgassen deutscher Schulpolitik, München 1998; vgl. Albert Wunsch: Abschied von der Spaßpädagogik. Für einen Kurswechsel in der Erziehung, München 2003.
2 Der kolumbianische Nationalspieler Andrés Escobar trug bei der Fußball-WM 1994 durch ein Eigentor zur 1:2-Niederlage Kolumbiens gegen die USA bei und wurde kurz danach in seiner Heimat ermordet. Nicht geklärt ist, ob das Geschäftsgebaren der Wettspielmafia oder der verletzte Nationalstolz eines Fans dahinter steckte.
3 Es ist kein Zufall, dass auch diese Tragödie, wie viele andere, nur nach der so genannten Schuldfrage hin juris­tisch geklärt werden soll. Dass das Geschäftemachen gesetzmäßig die gegenseitige Preis- und Kostendrückerei zum Schaden anderer beinhaltet, steht in der öffentlichen Debatte um „Geschäftsskandale“ nicht zur Diskussion.
4 Martin Tröndle in einem Interview mit Lars von der Gönna: „Klassik-Szene bangt um Nachwuchs“, www.derwesten.de/kultur/musik-und-konzerte/Klassik-Szene-bangt-um-Nachwuchs-id3176942.html (Stand: 10.7.2010).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2010.