Parma, Mirjam

Sinn-voll Musik inszenieren

Methoden der Szenischen Interpretation als Bereicherung des Instrumental- und Gesangsunterrichts

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2010 , Seite 06

Durch szenisches Spiel machen SchülerInnen Erfahrungen, die ihnen einen emotionalen Zugang zur Musik ermöglichen. Sie finden ihre ganz persönliche Haltung, was ihr Spielen und Singen für sie und ihr Publikum lebendiger und spannender macht. Dazu werden durch Gesten und Bewegungen technische Hürden leichter gemeistert.

Ein Selbstversuch: Nehmen Sie mit beiden Händen ein mit Sand oder Ähnlichem gefülltes Säckchen oder eine volle 0,5-Liter-Flasche vor Ihren Körper (besser im Stehen, es geht aber auch im Sitzen) und spüren Sie einige Atemzüge lang das Gewicht in Ihren Händen und die Reaktion Ihres Körpers da­rauf. Dann lassen Sie das Gewicht langsam sinken – geben Sie gleichzeitig leicht in den Gelenken nach –, worauf ein Einatmen ausgelöst wird. Beim Anheben tönen Sie auf einem Vokal Ihrer Wahl in für Sie angenehmer Tonhöhe. Nach mehreren Versuchen – gerne mit Variationen – kommen Sie in Ihre Ausgangsposition zurück und kehren das Ganze um: Das Anheben löst das Einatmen aus, getönt wird bei langsam heruntergelassenem Gewicht. Wie unterscheiden sich die beiden Varianten? Fühlen Sie sich mit einer der beiden wohler?
Formulieren Sie eine Bitte, z. B.: „Hör mir zu!“, und sprechen oder singen Sie diese, nun ohne Gewicht, mit auf- und absteigender Armbewegung. Wie verändern sich die Aussage, der Tonfall oder die Melodie mit der Geste? Danach experimentieren Sie mit Ihrer Bitte, indem Sie sich verschiedene Ausdrucks­möglichkeiten vorgeben, z. B. fragend, zuversichtlich, traurig, vorwurfsvoll oder freudig. Passen Sie Ihre Gesten Ihren Aussagen an und beobachten Sie dabei, ob es Ihnen leichter fällt, eine Bewegung zu finden oder eine Stimmung zu erzeugen.
Wahrscheinlich sind die wenigsten von Ihnen spontan aufgestanden, um die Übung auszuprobieren. Aber keine Sorge: Allein schon durch die beim Lesen hervorgerufene innere Vorstellung der Abläufe haben Sie dieselben Hirnareale angeregt wie beim konkreten Tun und haben so eine Idee davon bekommen, welchen Einfluss Haltungen und Gesten auf den Ausdruck haben. Trotzdem empfehle ich Ihnen, bei Gelegenheit diese Übung praktisch auszuprobieren, weil der Eindruck intensiver ist und man konkret „begreift“, wie innere Bewegung äußerlich sichtbar wird und wie äußere Bewegung auf den inneren Zustand wirkt. Gleichzeitig konnten Sie an sich erleben, wie erfahrungsorientiertes Lernen funktioniert: In einem vorgegebenen Rahmen haben Sie verschiedene Eindrücke gesammelt, die Sie, angeregt durch Fragen, reflektiert haben.

Erfahrungsorientiertes Lernen

Im Selbstversuch hatten Sie die Rolle der Schülerin oder des Schülers. Wie verändert sich bei dieser Art des Lernens aber die Rolle der Lehrkraft? Ihre Aufgabe besteht nun nicht mehr darin, vorhandenes Wissen zu vermitteln, sondern den SchülerInnen Spielräume zu eröffnen, in denen sie selbst gestalterisch aktiv werden und sich dabei selbst erfahren können: Der Lehrer wird zum Prozessbegleiter.1 Weiterhin geht es nicht darum, eine Inszenierung einzustudieren, bei der ein Regisseur seine SpielerInnen dazu anleitet, seine Idee von einem Stück auf die Bühne zu bringen. Bei der Szenischen Interpretation von Musik(theater), von der ich im Folgenden einige Methoden darstellen möchte, geht es darum, SchülerInnen mit Mitteln des szenischen Spiels die Bedeutung eines Musikstücks konstruieren zu lassen.2
Die Methode der Szenischen Interpretation wurde von Wolfgang Martin Stroh, Rainer O. Brinkmann, Ralf Nebhuth und Markus Kosuch ursprünglich für den Musikunterricht in Schulen entwickelt.3 Dabei stand die Persönlichkeitsentwicklung der SchülerInnen im Zentrum. Im Instrumental- und Gesangsunterricht wird sich der Fokus notwendigerweise verschieben, da Menschen in erster Linie in den Unterricht gehen, um ein Instrument spielen oder singen zu lernen und um mit dieser Fertigkeit Stücke, Lieder oder Arien zu interpretieren. Da es sich im Allgemeinen um Einzelunterricht handelt, fallen zudem Gruppenübungen weg. Um jedoch trotzdem eine ähnliche Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten kennen zu lernen, sind mehr Anregungen vom Prozessbegleiter nötig. Obwohl also eine direkte Übernahme des Ansatzes in den Einzelunterricht nicht möglich ist, so kann doch in vielen Unterrichtsphasen von den verschiedenen Methoden des szenischen Spiels profitiert werden. Stroh schreibt dazu: „Vor allem die breite Palette musikpraktischer Lernformen kann nicht ganz im szenischen Spiel aufgehen, auch wenn sich zielgerichtete musikpraktische Übephasen oft mit der Vorbereitung einer szenischen Darstellung verbinden.“4
In der eingangs beschriebenen Übung wird deutlich, wie quasi nebenbei die Technik verbessert wird, während das Hauptaugenmerk auf den Bewegungs- und Darstellungsaspekt gerichtet ist. Falls Sie die Übungen laut probiert haben, konnten Sie hören, wie der Ton durch das Heben und Senken des Gewichts klarer und lauter wurde. Durch die Bewegung wurde ein höherer Tonus, also Stütze, erzeugt. Dabei muss ich nicht darüber nachdenken, dass und wie ich stützen sollte, sondern es geschieht durch die Selbstregulierung des Körpers der Situation angemessen. Durch Verschieben des Fokus auf Geste und Ausdruck, Mittel also, die jedem zur Verfügung stehen, erleben die SchülerInnen nicht eine technische Schwierigkeit, sondern ein Gefühl von Kompetenz.

1 vgl. Markus Kosuch: Musik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, hg. von Werner Jank, Berlin 2005, S. 177-184.
2 Wolfgang Martin Stroh: Crash-Kurs „Szenische Interpretation von Musik“, Seminar-Reader, S. 7.
3 vgl. Rainer O. Brinkmann/Markus Kosuch/Wolfgang Martin Stroh: Methodenkatalog der Szenischen Interpretation von Musiktheater. Begründungen und Unterrichtsmaterialien, Oldershausen 2001.
4 Wolfgang Martin Stroh: „Szenisches Spiel im Musikunterricht“, in: Musik & Bildung 6/1982, S. 407.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2010.