Schulte im Walde, Christoph

Man weiß nicht immer, was man letztlich bekommt

Im Gespräch mit Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes

Rubrik: Gespräch
erschienen in: üben & musizieren 4/2010 , Seite 40

Viel Geduld und langen Atem – beides muss haben, wer in Sachen Kunst und Kultur seine Ziele erreichen will. Irgendwann ist die Zeit dann reif, dass aus einer lange gehegten Idee greifbare Realität wird. Das gilt beispielsweise für die Kulturstiftung des Bundes, einer Institution, die im März 2002 ihre Arbeit aufnahm. Hortensia Völckers ist als deren Direktorin von Anfang an dabei und erläutert im Gespräch mit Christoph Schulte im Walde die Ziele der Stiftung. Hortensia Völckers wurde 1957 in Buenos Aires geboren. Nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland studierte sie von 1977 bis 1981 Kunstgeschichte und Politologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Völckers war als Kuratorin verschiedener Ausstellungen tätig und war u. a. von 1995 bis 1997 bei der documenta X per­sönliche Referentin der Künstlerischen Leiterin Catherine David. Von 1997 bis 2001 war sie Direktorin der Wiener Festwochen. Völckers hat verschiedene internationale Tanzfestivals organisiert und kuratiert. Seit März 2002 ist sie Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes in Halle an der Saale. Mit der Kulturstiftung des Bundes entwickelte sie zahlreiche Programme für den Kulturaustausch mit den Ländern des östlichen Europa und zu den Themen Migration, schrumpfende Städte oder Zukunft der Arbeit.

Frau Völckers, auch wenn die Stiftung in ihrer jetzigen Form erst acht Jahre alt ist – der Gedanke, sie ins Leben zu rufen, ist schon weitaus älter.
In der Tat. Die Idee stammt aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Einer der geistigen Väter war Willy Brandt, der in seiner Zeit als Bundeskanzler gemeinsam mit dem Schriftsteller Günter Grass an die Gründung einer nationalen Stiftung zur Förderung der Kultur dachte, etwa nach dem Vorbild der schweizerischen „Pro Helvetia“. Eine schnelle Umsetzung der Pläne scheiterte dann aber unter anderem an der föderalen Struktur der Bundesrepublik, die der Installation einer zentralen Institution eher entgegen wirkte. Es brauchte Zeit – und einen günstigen Augenblick. Den erwischte dann Julian Nida-Rümelin, 2001 bis 2002 Kulturstaatsminister der damaligen Bundesregierung: Das war sozusagen die Geburtsstunde der Stiftung.

Ihren Sitz hat die Stiftung in Halle an der Saale, in dem wunderschönen historischen Waisenhaus von 1698. Wie wird die Stiftung finanziert und was ist der Kern ihrer Arbeit?
Zu einhundert Prozent finanzieren wir uns aus Mitteln des Staatsministers für Kultur. Wir verfügen über ein Budget von etwa 35 Millionen Euro jährlich. Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass wir uns um die Gegenwartskultur in all ihren Facetten und in allen künstlerischen Sparten bemühen. Und dies auf Bundesebene. Das heißt, die von uns unterstützten Projekte haben eine gewisse Bundesrelevanz oder stehen in einem internationalen Zusammenhang. „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) ist ein solches Projekt, oder besser gesagt: zu einem solchen Projekt angewachsen. Das hat ja in Bochum begonnen, sich dann auf das Ruhrgebiet ausgeweitet und ist inzwischen in etlichen anderen Bundesländern eingeführt worden. Das hat medial und auch im politischen Raum große Aufmerksamkeit geweckt. Einmal mehr wurde der Notstand vom Status quo sichtbar: Es gibt zu wenig Musikunterricht in der Schule! Nicht zuletzt, weil JeKi Bestandteil der Kulturhauptstadt 2010 ist, können wir uns als Bundesstiftung da mit einbringen und stellen über mehrere Jahre hinweg insgesamt zehn Millionen Euro zur Verfügung.

Das Geld, das hier ausgegeben wird, ist öffentliches Geld. Und deshalb wird ja über jeden Cent Rechenschaft abgelegt. Wer überhaupt in den Genuss einer Förderung kommt, darüber entscheiden regelmäßig diverse Fachjurys, sichten und bewerten die eingegangenen Anträge. Was ist aus Sicht der Stiftung förderungswürdig?
Die Bandbreite dessen, was wir fördern, ist nahezu grenzenlos. Da werden die verschiedensten Sparten berücksichtigt: Tanz, Theater, Literatur, bildende Kunst, Soziokultur, Film. Hier stehen jeweils eigene, sich selbst verwaltende Fonds zur Verfügung. Initiativen, die nicht auf eine bestimmte Sparte oder ein bestimmtes Thema festgelegt sind, werden von der so genannten „allgemeinen“ oder „offenen Projektförderung“ erreicht.

Sie engagieren sich auch in dem Bereich, den man „Hochkultur“ nennen könnte.
Ja, Spitzenförderung leistet die Stiftung, indem sie auch fest etablierte Kunstereignisse unterstützt: die Kasseler documenta zum Beispiel, die ja fast jeder Mensch kennt, auch die Berlin Biennale, die sich als Ort der Begegnung zeitgenössischer Strömungen einen Namen gemacht hat. Ganz zu schweigen von den Konzertaktivitäten des Ensemble Modern und dem jährlich wiederkehrenden Theatertreffen in Berlin, bei dem die zehn am meisten auf- und anregenden Theaterinszenierungen aus den deutschsprachigen Ländern räumlich und zeitlich konzentriert präsentiert werden. All diese hochkarätigen Veranstaltungen bekommen einen finanziellen Schub durch die Kulturstiftung des Bundes. Man kann dies als Investition in die klassische Kunstproduktion begreifen.
Ganz typisch und häufig gefördert sind aber auch immer wieder Projekte, die noch in ihrer Entwicklung stecken, die Neuland betreten. Da vergeben wir sozusagen eine Carte blanche! Man weiß noch längst nicht immer, was man letztlich inhaltlich bekommt. Das unterscheidet uns von Stiftungen auf Landesebene, die zum Beispiel den Ankauf von Kunst- und Kulturgütern ermöglichen. Da geht es um konkrete, fassbare Dinge. Wir haben dagegen oft mit Sachen zu tun, die erst noch entstehen. Wie etwa die von uns geförderte Inszenierung von Arnold Schönbergs Moses und Aron bei der Ruhrtriennale 2009. Immer stellt sich die Frage: Weiß man, ob und was das wird? Da gibt es immer viele Diskussionen.

Die Kulturstiftung des Bundes reagiert nicht nur auf Vorhandenes, begleitet nicht nur von außen an sie herangetragene Aktivitäten. Die Stiftung selbst ist kreativ, entwickelt eigene Ideen, die gesellschaftlich relevante Themen in ihrer ganzen Bandbreite auf­greifen.
Das ist richtig. Und die Themen sind äußerst vielfältig. Da geht es zum Beispiel um die Konservierung und Restaurierung kulturgeschichtlich bedeutsamer Ob­jekte und Sammlungen als kollektives Gedächtnis. Oder um ganz existenzielle Fragen wie die des Klimawandels, wobei ich mit diesem Begriff nicht ganz glücklich bin. Der Klimawandel ist ja kein rein ökologisches Problem, sondern auch und eigentlich ein kulturelles. Unser neues Programm für Kultur und Nachhaltigkeit ist überschrieben mit „Über Lebenskunst“. Zukunftsfähigkeit heißt das relevante Stichwort. Wie können wir auf eine gute Art und Weise leben, ohne dabei unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören? Antworten auf diese Frage werden ab September 2010 gesucht, die Kulturstiftung investiert bis zum Jahr 2012 dafür 3,57 Millionen Euro.
Nachhaltigkeit ist übrigens ein Leitgedanke, dem Priorität auch dort eingeräumt wird, wo es dezidiert um die Musik geht. Dazu zählt das bereits angesprochene JeKi-Projekt, zu dem sich das Land Nordrhein-Westfalen bekennt und zugesagt hat, über das Jahr 2010 hinaus für Finanzmittel und damit für Nachhaltigkeit zu sorgen. Nachhaltigkeit ist uns darüber hinaus auch sehr wichtig in einer Sparte, die vielleicht gar nicht so sehr in der breiten Öffentlichkeit verankert ist: die der Neuen Musik. Mal abgesehen davon, dass die Tage der Neuen Musik in Donaueschingen zu den regelmäßig von der Stiftung geförderten Projekten zählen, wird das Engagement für Zeitgenössisches direkt an der Basis voran gebracht. Dafür nämlich ist das Netzwerk Neue Musik der Kulturstiftung des Bundes entstanden, ein auf fünf Jahre angelegtes Programm, das kürzlich Halbzeit hatte und Jahr für Jahr mit einem Budget von rund drei Mil­lionen Euro ausgestattet wird. Nachhaltigkeit beansprucht das Netzwerk, weil es sich unter anderem auch speziell um die intensive Vermittlung Neuer Musik bemüht, dazu neue Konzepte entwickelt und sich damit um das Publikum von morgen kümmert und dort für ein breiteres Interesse wirbt.

Das geschieht bekanntlich nicht von allein, wie schon Karlheinz Stockhausen wusste und eine klare Forderung formulierte: „Ein Publikum existiert nicht einfach, sondern wird gebildet. Ein Publikum muss dadurch geformt werden, dass man etwas Bestimmtes aufführt, regelmäßig. Dann werden sich allmählich Geister um bestimmte Dinge herum sammeln.“
Ein Publikum soll geformt werden – aber auch eine Szene von Interpreten selbst, ein Netzwerk unter den Ausführenden. Dazu arbeiten wir am und mit dem Netzwerk Neue Musik. Das erstreckt sich von Kiel bis Passau, von Saarbrücken bis Berlin: Viele der ohnehin schon wirksamen Aktivitäten der „Szene“ sollen da gebündelt und Kommunikationsstrukturen geschaffen werden. Das klingt wenig spektakulär, reagiert aber auf einen im künstlerischen Bereich immer wieder festzustellenden Umstand: Vor Ort nämlich gibt es viele „Einzelkämpfer“, die gute und erfolgreiche Arbeit leisten. Mit- und untereinander, das heißt in der Region und auch darüber hinaus haben sie jedoch nicht viel Kontakt. Das Netzwerk bietet nun gerade in dieser Hinsicht eine Plattform für Austausch, Zusammenarbeit und kreativer Planung. Das ist aus meiner Erfahrung heraus etwas, was die Menschen ungern tun. Und das ist auch ein bisschen unser Hauptproblem in Deutschland, dass alles nebeneinander her passiert und man möglichst wenig kooperiert. Es geht aber auch anders. In den fünfzehn von der Kulturstiftung ausgewählten Projekten sind nicht weniger als 255 Netzwerkpartner aktiv, sprich: miteinander vernetzt. Zentrale Anlaufstelle ist das Leitungsteam in Berlin.

Ganz neu ist auch das Projekt „AGENTEN“. Mir scheint, der Name ist Programm.
Wenn man unter einem Agenten jemanden verstehen will, der geheime Botschaften übermittelt, dann in diesem Fall die gar nicht so geheime, dass Kunst und Kultur zu Lebensmitteln gehören, ohne die der Mensch eigentlich nicht auskommt. Diese unbestreitbare Erkenntnis hat sich indes noch nicht überall herum­gesprochen. Vor allem nicht bei Kindern und Jugend­lichen.

Das verdeutlicht auch das 1. JugendkulturBarometer. Die Fakten, die das Zentrum für Kulturforschung in St. Augustin bereits 2004 zusammengetragen hat, sprechen eine deutliche Sprache. Nur zwei beispielhafte Zahlen: Unter den 14- bis 24-Jährigen geben 44 Prozent an, im Jahr zuvor überhaupt keine kulturelle Veranstaltung besucht zu haben, 17 Prozent haben weder ein Museum noch ein Konzerthaus oder ein Theater von innen gesehen.
Das ist richtig. Aber nicht erst seit Veröffentlichung dieses Barometers gibt es an vielen Orten ganz unterschiedliche Anstrengungen, Kindern und Jugend­lichen Kultur in all ihren Facetten schmackhaft zu ma­chen. Oft ist festzustellen, dass die bereits bestehende kulturelle Infrastruktur einer Kommune gar nicht im Bewusstsein der jungen Leute verankert ist – sicher auch Ausdruck der Tatsache, dass inzwischen viele von ihnen in eher kulturfernen Zusammenhängen aufwachsen.
Hier setzt die Arbeit der Stiftungs-Agenten ein, die ab kommenden Herbst in die Modell- oder Erprobungsphase geschickt werden. Ihr Einsatzgebiet sind mindes­tens 100 Schulen in drei bis fünf Bundesländern. Sie sind fester Teil des Lehrerkollegiums und zeichnen sich dadurch aus, dass sie Erfahrung im Bereich Kulturvermittlung haben, sich auskennen im Kulturmanagement und Kreativität mitbringen, wie lokale und regionale Kultureinrichtungen für die jeweilige Schule nutzbar gemacht werden können. Der „ganz normale“ Schulalltag soll umfassend bereichert werden um den Aspekt Kunst und Kultur. Zusätzlich zu dem, was ohnehin im Lehrplan vorgesehen ist. Dabei heraus kommen sollen Projekte, die von Schülern, Lehrern und Agenten gemeinsam entwickelt werden, individuell zugeschnitten auf die beteiligten Schulen, auf die kulturelle Infrastruktur vor Ort.
Die Agenten werden vor Beginn ihrer Mission intensiv vorbereitet. Dazu hat die Kulturstiftung eine Agenten-Akademie ins Leben gerufen, bei der auf das Wissen und die Erfahrung Pädagogischer Hochschulen und Kunsthochschulen zurückgegriffen wird. Insgesamt fließen in den Jahren 2010 bis 2017 bis zu zehn Millionen Euro in diese Initiative. Ganz gewiss bestens investiertes Geld – und ein weiterer Schritt zum Aufbau und zur nachhaltigen Stärkung kulturellen Bewusstseins.

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