Fischer, Cornelia

Gunild Keetman und das Orff-Schulwerk

Elementare Musik zwischen künstlerischem und didaktischem Anspruch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: üben & musizieren 4/2010 , Seite 58

Wer ist Gunild Keetman? Was war das Orff-Schulwerk doch gleich noch mal? Wahrscheinlich ziehen diese beiden Fragen durch die Köpfe vieler, die den Titel des hier zu rezensierenden Buchs von Cornelia Fischer lesen. Umso bemerkenswerter, dass sich eine junge Musikpädagogin und Blockflötistin bereits in ihrer Magisterarbeit und jetzt auch mit ihrer Dissertation mit der Komponistin und Pädagogin Gunild Keetman so überaus gewissenhaft auseinandergesetzt hat.
Den Namen Keetman kennt man vor allem im Verbund mit dem Namen Carl Orff und dessen Schulwerk, das die Musikpädagogik seit den 1950er Jahren verändert und maßgeblich (mit)geprägt hat. Aber der Untertitel von Fischers Studie macht klar: Nicht nur das Orff-Schulwerk als Konzeption selbst, sondern vor allem das Gesamtwerk Gunild Keetmans muss zwischen dem didaktischen Anspruch auch den künstlerischen in den Blick nehmen. Dass aber insbesondere im künstlerischen Feld oftmals Frauen im Schatten von Männern standen, mit denen sie eng zusammengearbeitet haben, dafür gibt es in der Kulturgeschichte eine ganze Reihe von Beispielen. Fischer betont bereits in ihrer Einleitung, dass „Orff […] in fachlicher und menschlicher Hinsicht von ihr [Keetman] profitierte“. Fischer stellt sich mit ihrer Studie der Herausforderung eines Perspektivwechsels, wenn sie Keetmans Werk auf personaltypische Charakteristika hin untersucht und es zu ihrem „vorrangigen Interessenssubjekt“ macht.
Nach einer ausführlichen Darstellung „biographischer Stationen“ schließen sich drei große Kapitel zu Keetman als Komponistin, als Pädagogin und als Blockflötistin an. Geprägt durch die Musikvorstellung an der Günther-Schule für Gymnastik und Tanz, wo sie Orff als Lehrer und „animierenden Mentor“ kennen lernt, entwickelt sie mit der Zeit „einen für sie typischen Personalstil“, wie Werner Thomas bereits feststellte. Fischer arbeitet in ihrer Studie heraus, dass Keetmans Kompositionen wie auch ihr pädagogisches Wirken insbesondere aus der Bewegung, dem Tanz als auch aus der Improvisation und dem Experiment mit dem neuen Instrumentarium erwächst. Eine „unverwechselbare ästhetische Qualität“ entwickelt sich, die Instrumente sind eine unerschöpfliche Quelle für Keetmans Kompositionen für Stabspiele, kleines Schlagwerk und Blockflöte. Auf die akribische Analyse der Keetman’schen Kompositionen, die Fischer anbietet, kann hier leider nicht näher eingegangen werden; sie ist aber als außergewöhnlich kreativ und detailreich einzustufen.
Im 6. Kapitel schließlich bemüht sich die Autorin um die Annäherung an die Persönlichkeit Keetmans unter dem Titel „Zwischen Rollenklischees und Emanzipation“. Sie erarbeitet ein Psychogramm Keetmans, versucht sich damit deren Persönlichkeit anzunähern, ohne sie lediglich auf die Zusammenarbeit mit Carl Orff zu reduzieren. Sie kann vielmehr durch eine Reihe von Dokumenten sowie Zeitzeugenberichten deutlich machen, dass Keetman in den 1930er Jahren „im öffentlichen Diskurs als eigenständige Künstlerin behandelt“ wurde.
Zum Ende ihrer Zusammenfassung schreibt Cornelia Fischer: „Keetman ist die Frau hinter Carl Orff, die Mutter des Schulwerks, eine ebenso geniale wie fortschrittliche Musikpädagogin und Komponistin…“ Diesen „Kosmos“ der Gunild Keetman (neu) zu entdecken ist nun endlich durch Fischers Veröffentlichung möglich und kann nur wärmstens empfohlen werden.
Manuela Widmer