Schulhoff, Erwin

10 Klavierstücke op. 30

hg. von Josef Bek

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 4/2010 , Seite 64

Das umfangreiche Klavierwerk von Erwin Schulhoff ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. 1894 in Prag geboren, durfte der musikalisch Hochbegabte schon mit zehn Jahren eine Klavierausbildung am Konservatorium seiner Heimatstadt aufnehmen. Ab 1906 konnte er in Wien weiterstudieren, danach am Leipziger Konservatorium bei Robert Teichmüller und schließlich in Köln bei Carl Friedberg. Schon frühzeitig war auch seine Befähigung zum Komponieren deutlich geworden und so erhielt er in Leipzig Unterricht bei Max Reger.
Die Anregungen, die Schulhoff für seine stilistisch vielfältigen Kompositionen erhielt, beschreibt Josef Bek: „Schulhoff fand im Feld zwischen Expressionismus und Neoklassizismus seinen eigenen, durch das spezifische Prager Kulturmilieu geprägten Stil, in dem sich slawische, deutsch-österreichische und jüdische Elemente miteinander mischten.“
Der Schwerpunkt seiner erfolgreichen Arbeit lag in den 1920er Jahren. In den 30er Jahren wurde er als Jude und Anhänger kommunistischer Ideen verfolgt. 1941 wurde Schulhoff ins Gefangenenlager Wülzburg deportiert, wo er 1942 an Tuberkulose starb.
Schulhoffs Schaffen umfasst allein für Klavier mehr als 30 Werke. Darunter befinden sich auch zwei Klavierkonzerte sowie ein Doppelkonzert für Flöte, Klavier und Orchester. Auf zwei frühe Sonaten folgen im selben Jahrzehnt drei gewichtige weitere, die er als Nr. 1-3 bezeichnete. Etliche andere Opera aus derselben Zeit zeigen schon durch die Titel, wie sehr sich Schulhoff vom Jazz angezogen fühlte.
Die kurzen, manchmal fast aphoristischen 10 Klavierstücke op. 30 entstanden 1919. Sie lassen in ihrer Atonalität eine Reaktion auf Schönbergs frühe Klavierstücke ahnen. Des Autors Anmerkung: „Jedes Versetzungszeichen gilt nur für die diesbezügliche Note“, bezieht sich auf die ganze Sammlung. Es gibt keine genauen Tempoangaben; stattdessen steht über jedem Stück eine Überschrift, die dessen Charakter beschreibt und damit indirekt auf einen Rahmen für mögliche Tempi hinweist wie z. B.: „Sehr einfach und ruhig“ (Nr. I), „Mit Brutalität“ (Nr. II), „Fließend“ (Nr. V), „Mit Aufschwung“ (Nr. IX), „Ruhig verklärt“ (Nr. X). Da es für die Dynamik ebenfalls keine präzisen Angaben gibt, entstehen auch hier Freiräume für die Interpretation. Daraus ergibt sich eine Art „Rahmennotation“, wobei allerdings alle Tonhöhen und Dauern festgelegt sind.
Der Klaviersatz ist durchsichtig angelegt, oft in übergeordneter Zweistimmigkeit. Pedalspiel kann nur vorsichtig und in geringem Maße eingesetzt werden. Die Stücke sind zum Teil virtuos, doch halten sich die größten spieltechnischen Schwierigkeiten etwa in dem Rahmen, der für Heft VI von Bartóks Mikrokosmos gilt.
Die 10 Klavierstücke op. 30 von Erwin Schulhoff bieten einen interessanten Einblick in die Musikwelt nach dem Ersten Weltkrieg und in das Schaffen eines wichtigen Komponisten, der verdrängt und vergessen wurde. Es ist eine lohnende Aufgabe, sich mit den Werken Schulhoffs zu beschäftigen.
Peter Roggenkamp