Doerne, Andreas

Wendezeit!?

Der Musikschulkongress des VdM in Berlin

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 4/2009 , Seite 34

Wenn, wie dieses Jahr geschehen, der Bundespräsident höchstpersönlich einen Kongress des VdM eröffnet, ist dies ein unverkennbares Zeichen dafür, dass das Thema Musikalische Bildung zu einem zentralen ­Gegenstand der politischen Diskussion in Deutschland geworden ist. Und obwohl ich es für bedenklich halte, dass ausgerechnet die Transferforschung mit ihrem das Musizieren funktionalisierenden Impetus als Auslöser für diese Entwicklung angesehen werden muss, ist dies ein insgesamt erfreulicher Befund, der unserem Berufsstand Anlass gibt, optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Dennoch drängte sich mir nach erlebnisreichen drei Kongresstagen in Berlin mehr und mehr die Frage auf: Sind wir – die Musikschulen als Institutionen genauso wie jeder einzelne Instrumentalpädagoge – genügend darauf vorbereitet, nicht bloß instrumental­erzieherisch, sondern musikalisch-ästhetisch bildend tätig zu sein? Eine Musikschule ist nicht automatisch schon eine Bildungseinrichtung, nur weil sie das Musizieren unterrichtet. Sie muss durch die inhaltliche Gestaltung jeder einzelnen Unterrichtsstunde erst zu einer solchen werden. Denn Musik bildet nur, wenn man ihr Bildungspotenzial bewusst aktiviert. Also: Haben wir fantasievolle, im Wechsel von praktischer Erprobung und theoretischem Diskurs optimierte Konzepte zur musikalischen Bildung am Instrument in der Schublade, um jetzt, wo die Zeit endlich reif dafür ist, bildungspolitisch durch­zustarten?
Meinem Eindruck nach fällt eine Antwort da­rauf zwiespältig aus. Zum einen ist es den Organisatoren des Kongresses mittels einer durchdachten Referenten- und Themenauswahl gelungen, alle momentan einflussreichen (Neu-)Entwicklungen der Musikschul­arbeit vorzustellen: von der künstlerisch-pädagogischen Arbeit mit einem Gamelan-Orchester über die Vermittlung arabischer Musik und Instrumente, die offenbar nach wie vor schwierige Integration populärer Musik in den Instrumentalunterricht, die Praxis des (Groß-)Gruppenunterrichts am Klavier bis hin zur Neurobiologie des Musizierens.
Einen großen Anteil hatten zudem elementar­pädagogische Themen, darunter besonders hervorzuheben das vom VdM initiierte Projekt „Musikalische Bildung von Anfang an“. Überall fanden sich vielfältige Hinweise auf eine Wende hin zu einer umfassenderen und daher mehr am Humboldt’schen Bildungs­ideal als am circensischen Hochleistungsspektakel orientierten Sichtweise auf musizierpädagogisches Handeln. Zum anderen verstärkten sich im Laufe des Kongresses bei mir die Zweifel, ob ein deutliches Bewusstsein für die Umsetzung eines Bildungsauftrags von Musikschulen überhaupt schon vorhanden ist.
Mir scheint, als hätte schon die dafür notwendige Umstellung vom Instrumentalindi­vidualtrainer für wenige Begabte (respektive Zahlungsfähige) hin zum Mannschaftscoach für alle zahlreiche Musikschullehrkräfte auf dem falschen Fuß erwischt. Hin- und hergerissen zwischen der zarten, vielfach noch unartikulierten Bereitschaft zu moderaten Veränderungen und der reflexhaften Abwehr aktueller, vielfach als Zumutung empfundener Anforderungen durch Kooperationsprojekte mit allgemein bildenden Schulen, fehlt es hier und da sichtlich an Orientierung. Orientierung, die leider auch den Urhebern der Verunsicherung abhanden gekommen zu sein scheint.
Wie sonst ließe sich das hektische Expansionsgebaren von JeKi erklären – jener ambitionierten und mit vielen guten Absichten versehenen Bochumer Idee, die sich von einem lokalen Leuchtfeuer zu einem landesweiten Flammenmeer ausgeweitet hat? Angesichts der konzeptionellen Defizite der Ini­tiative, die in einer großen Podiumsdiskus­sion am ersten Kongresstag überraschend klar zu Tage traten, muss die Frage erlaubt sein, ob dieses bildungspolitische Vorzeigeprojekt der deutschen Instrumentalpädagogik tatsächlich jene Expansionsbestrebungen rechtfertigt, die es zeigt.
Das von Initiatoren und Sponsoren immer wieder vorgebrachte Argument: „Aufgrund der vielen momentan vorhandenen Gelder muss JeKi vorangetrieben werden“, überzeugt mich jedenfalls nicht. Hier droht die Gefahr, dass visionäres Engagement umschlägt in unreflektierten Aktionismus, der weder links noch rechts des Weges schaut. Etwas mehr gedankliche Gründlichkeit, Ruhe und Zeit täte der Sache sicherlich gut, damit am Ende echte musikpädagogische Nachhaltigkeit steht. Nicht zuletzt auch, damit wir der Gesellschaft ihren finanziellen und ideellen Vertrauensvorschuss mit dem zurückzahlen, was sie sich zurecht erwartet: einem wirkungsvollen Beitrag zur Abwendung drohender Bildungsarmut in Deutschland.
Unterm Strich bot der Kongress eine Fülle von anregenden Vorträgen, Präsentationen und Workshops. Die Rekordzahl von über 2200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kann als zuverlässiger Indikator für den Erfolg der Veranstaltung gewertet werden. Eine perfekte Organisation tat ihr Übriges. 2011 findet der nächste Musikschulkongress vom 20. bis 22. Mai in Koblenz statt.

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