Schneider, Enjott

Pantha rhei

4 Mantras für Saxophonquartett

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: üben & musizieren 4/2009 , Seite 56

Es sind besondere Schwingungen, die von dieser Partitur auszugehen scheinen. Der Musiker, Komponist und Musikwissenschaftler Enjott Schneider widmete seine Komposition “Pantha rhei” („Alles fließt“) dem gleichnamigen Saxofonquartett. Heraklits Metaphysik vom ununterbrochenen Werden und Vergehen, dem alle Dinge unterworfen sind, wird hier in Musik übersetzt. Die vier Sätze des programmatischen Stücks werden als Mantras bezeichnet, womit eine gedankliche Brücke von der vorsokratischen, abendländischen Philosophie zu fernöstlichen Religionspraktiken geschlagen wird. Ein Mantra, sanskrit für „Instrument des Denkens, Rede“, ist eine kurze, formelhafte Wortfolge, die repetitiv rezitiert wird. Im Hinduismus und Buddhismus erfolgt das Rezitieren von Mantras sprechend, flüsternd oder singend während des Gebets oder der Meditation. So steht zu Beginn eines jeden Satzes ein Mantra in Form eines Motivs, welches nach und nach von den InstrumentalistInnen aufgegriffen wird, um es in Variationen zu wiederholen.
Beim Blick in die Noten fragt man sich, ob es sich hier um eine Form von Klangbilder-Musik oder um klangbildende Kunst handelt? Die Satzdramaturgie wird allein durch Dynamik und Klangabstufung entwickelt, nicht durch harmonische Spannung und Entspannung, die Beziehung von Klängen aufeinander. Die auf Papier fixierten Klänge geben den Eindruck einer besonderen Art von intuitiver Musik wieder, die als meditativ bewegtes Gespräch erstrahlen kann. Die anspruchsvollen gedanklichen Vorgaben des Komponisten sind für Interpreten und Zuhörer eher ein Angebot zum Verständnis, als dass sie zwingend aus der Musik oder besser den Klanggebilden hervorzugehen scheinen.
Instrumental- und kammermusikalisch ist das Stück höchst anspruchsvoll, besonders im Hinblick auf die Kongruenz des Anstoßes und der Atemführung. Beim Zusammenspiel ist höchste Präzision gefragt, um in unmittelbarer Kommunikation subtil aufeinander reagieren zu können. Die vier Saxofone in Sopran-, Alt-, Tenor- und Baritonlage werden sehr transparent eingesetzt, sodass durch die Art ihres Zusammenspiels – Parallelführungen der Stimmen, Fortsetzung einer Stimme in einer anderen, Abspaltungen von solistischen Stimmen – differenzierte Klangprozesse und vielerlei Färbungen von Klängen zustande kommen.
Schwindel erregend scheint die Metronomangabe Achtel = 290 im vierten Mantra „Vivo“ und kann im Notenbild kaum mehr als Flirren wahrgenommen werden – ohne einen klingenden Eindruck sind schwerlich weitere Aussagen darüber zu treffen. Schneiders bewegte Meditationen sind in jedem Fall Hör- und nicht Lese-Musik!
Juliane E. Bally