Lohmann-Becker, Hildegund

Handbuch Gesangspädagogik

Stichworte zu Theorie und Praxis

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: üben & musizieren 4/2008 , Seite 50

Im Vorwort bezeichnet die Autorin das vorliegende Handbuch als eine Art Lexikon – und entsprechend ist es aufgebaut, nämlich von A bis Z. Ein Lexikon zu erstellen ist immer ein umfangreiches Unterfangen. Jeder sucht anderes darin, Enttäuschungen bleiben nicht aus. Die Autorin weist auf weiterführende Literatur hin; die klassischen Bücher über Gesang und Stimme findet man ebenfalls im Literaturverzeichnis. Ein Verzeichnis mit Liedern und Arien zu Übezwecken schließt sich an, bei dem sich die Frage stellt, inwieweit schwerste Gesangsliteratur wie die Arien der Königin der Nacht oder das Incarnatus aus Mozarts c-Moll-Messe hier sinnvoll sind.
Angenehm sind die klaren Definitionen wichtiger Begriffe wie „Fiorituren“, „Melisma“, „Altus“ oder „Sigmatismus“. Besonders bereichernd ist das Nennen der sprachlichen Ableitung, z. B. „Soubrette“ (frz.) = Kammerzofe. Übersichtlich liest man die Erklärung des Begriffs „Melodram“ und findet Beispiele aus der Musikgeschichte dazu. Auch Bezeichnungen, die im Lauf der Entwicklung anderer Musikgenres wichtig wurden, z. B. „Belting“, sind erklärt.
Hier und da kann es zu Missverständnissen kommen wie beim Begriff „Brummstimme“. Die Definition der Autorin beschreibt das „Bocca chiusa“; unter „Brummer“ verstehen Musikdidaktiker Kinder, die keine Tonhöhen unterscheiden können. Zu manchen Begriffen findet man leider keine Definition, sondern nur eine Beschreibung oder einen Hinweis auf die Wichtigkeit.
„Tanztherapie“ wird unbeschwert „Sängern ohne Körpergefühl“ empfohlen. Tatsächlich ist die 1965 begründete Tanztherapie ein Zweig der Psychotherapie und lässt sich nicht ohne Weiteres als Parallelaktivität zum Gesangsstudium empfehlen. Unter „Gedächtnistypen“ wird lediglich beschrieben, in welche Schwerpunkte sich SängerInnen hineinretten, um das mit großem Aufwand erlernte Repertoire über einen langen Zeitraum präsent zu haben. Es würde allerdings den Rahmen des Handbuchs sprengen, wenn die verschiedenen Perspektiven des Lernens und Merkens ausführlich beschrieben wären.
Die Lektüre bietet einen kurzweiligen Spaziergang durch die Welt der sängerischen Fachbegriffe. Vieles wird vorausgesetzt und nicht lexikalisch definiert. Bedauerlich ist, dass der von Paul Lohmann geprägte Begriff der „Pfeifstimme“, der den stockhausenschen Begriff der „Flageolettstimme“ abgelöst hat, weiter gefestigt wird. Der Klang der Frauenstimme in der dreigestrichenen Oktave liegt dem Flötenton sehr nahe, wohingegen „Pfeifen“ dem Timbre dieser Stimmlage nicht gerecht wird.
Natürlich kann nicht jeder Begriff genannt sein. Trotzdem ist es bedauerlich, dass man unter „Atmungstypen“ nicht die terlusollogische Definition des Ein- und Ausatmungstyps findet, deren Unterscheidung im Bereich des Gesangs enorm an Wichtigkeit gewonnen hat.
Annette Brunsing