Mantel, Gerhard

Interpretation

Vom Notentext zum Klang

Rubrik: Bücher
erschienen in: üben & musizieren 4/2007 , Seite 55

Begabung oder Arbeit? Gerhard Mantel schlägt sich bei dieser Frage eindeutig auf die Seite der Arbeit. Bei der Interpretation von Musik kommt es ihm im Spannungsfeld zwischen „Genie“ und „Fleiß“ auf ein breites Grundwissen und ein sauberes, kontrolliert zur Verfügung stehendes Handwerkszeug an. Der Cellist und Frankfurter Musikhochschullehrer vertraut dem Erlernten mehr als dem Zufall – und er plädiert dafür, sich dem Musizieren auf Basis klarer Strukturen zu nähern.
In seinem Studienbuch zum Thema Interpretation macht Gerhard Mantel den Leser deshalb zunächst einmal mit den Grundparametern von Musik vertraut: Rhythmus, Dynamik, Artikulation, Klangfarbe und Tempo widmet er jeweils eigene Kapitel. Die menschliche Sprache dient dabei stets als Analogie, um diese Grundparameter möglichst vollständig, plastisch und anhand vieler Beispiele zu beschreiben. Dem Autor gelingt dabei so manch „sprechender“ Vergleich, der insbesondere natürlich seiner pädagogischen Praxis entspringt.
Einmal mit dem notwendigen Handwerkszeug ausgerüstet und im Bewusstsein der Elementarbestandteile einer jeden Interpretation von Musik, geht die Reise dann hin zu Themen wie „Strukturen“ und „Profile“. Mantel setzt hier das zuvor Entworfene in einen Zusammenhang und zeigt auf, wie einzelne musikalische Gestaltungselemente kombiniert werden können. Aus Worten und Satzzeichen werden also Sätze und Aussagen, Fragen und auch ganze Geschichten. Die wiederum mit Leben zu füllen, ist den abschließenden Kapiteln von Gerhard Mantels gut lesbaren Ausführungen vorbehalten.
Mit Hilfe von Variationen und Abweichungen, von Assoziationen und Bildern lassen sich Tiefe und Ausdruck in die musikalische Deutung bringen – und über diese Techniken lassen sich auch „persönliche“ Interpretationen aufbauen und weiterentwickeln. Wobei der Autor eben keineswegs der reinen Subjektivität das Wort redet. Denn jede Interpretation wird sich auf ein allgemein zugängliches „Wörterbuch“ der Musik, eine von allen verstehbare „Grammatik“ stützen – weswegen Gerhard Mantel auch dafür plädiert, wieder mehr in Standardwerke wie die von Leopold Mozart, Johann Mattheson oder Nikolaus Harnoncourt zu schauen.
Die Mischung aus klaren Methoden und souverän beherrschten Techniken auf der einen und der nötigen Portion Experimentierfreude und Inspiration auf der anderen Seite macht den Erfolg der Interpretation jeder Musik aus. Gerhard Mantel beleuchtet in seinem Buch diese beiden Pole – eindrücklich, deutlich in der Sprache und klar in der Aussage. „Begabung hat mit Mut zu tun“, sagt Mantel, mit dem Mut, sich auf Basis seines technischen Könnens auf neue Blickwinkel einzulassen.
Daniel Knödler