Kühn, Clemens

Musiktheorie unterrichten – Musik vermitteln

Erfahrungen – Ideen – Methoden. Ein Handbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2006
erschienen in: üben & musizieren 1/2007 , Seite 56

Wenn Clemens Kühn ein neues Buch herausbringt, darf man auf Ungewöhnliches gespannt sein und Innovatives erhoffen. Auch seine jüngste Publikation Musiktheorie unterrichten – Musik vermitteln enttäuscht in keiner Weise. Kühns Diktion, sein narrativer Sprachstil bleibt sich ebenso treu wie sein konzeptioneller Ansatz: wichtige musiktheoretische Felder, aber auch deren methodische Vermittlungspraktiken werden aufgegriffen und angegriffen, ohne allerdings – und auch das ist seit jeher ein sympathischer Zug bei Kühn – um alternative Vorschläge verlegen zu sein. Kühn sichtet, hinterfragt, kritisiert, legt Schichten frei, schält Skurriles und Musikfernes heraus und verweist ausgerechnet in seinen Fußnoten oft genug auf die eigentlichen Dollpunkte musiktheoretischen Agierens: Das alles ist spannend zu verfolgen und kann, kritische Distanz zum eigenen Tun und Toleranz gegenüber Nachbarmeinungen vorausgesetzt, ungemein bereichernd sein.
Musiktheorie vermitteln, das ist für Kühn Musik erleben und erleben lassen, sei es in Harmonielehre oder Kontrapunkt, im Generalbass, bei der Analyse oder in Modulation und Formenlehre. Eine große Anzahl von Notenbeispielen, Hörhinweisen und methodischen Querverweisen zeugt von der langjährigen Unterrichtserfahrung des Autors, der mit dieser Publikation und seinem stimmigen, gänzlich am individuellen Kunstwerk orientierten Konzept auch ein unmissverständliches Bekenntnis zum nach wie vor ungeklärten Standort der Musiktheorie abgibt.
Gelegentlich stört allerdings, wenn Kühn ins Persönliche verfällt, seine eigenen, gleichsam „traumatischen“ Erlebnisse als Student aufarbeitet, erfolgreiche Unterrichtsexperimente mit einem kleinen Zuviel an pro domo hervorhebt oder von der guten Zusammenarbeit unter den Dresdner Theoriekollegen schwärmt. Man fragt sich, ob ein seriöses, zeitloses Unterrichtswerk nicht zu mehr Objektivität verpflichtet wäre. Und bei der angehängten Liste der „Kommentierten Lehrbücher“ formuliert Kühn nahezu alle Kommentare als kleine, bissige Anmerkungen – nur seine eigenen Bücher und die seines Lehrers Diether de la Motte bleiben ungeschoren. Hat er das wirklich nötig?
Dennoch: Kühns Buch ist eine fabelhaft gemachte Aufforderung, musiktheoretisch-pädagogisches Tun zu reflektieren, und ein grandioser Ansatz, dem Fach die einzig überlebensfähige Richtung zu weisen, nämlich die der Musik. Gerade deshalb ist das Buch auch für Nicht-Theoretiker absolut empfehlenswert. Besonders aber praktizierende Musiktheoretiker sollten sich von Kühns Gedankengängen inspirieren lassen und dann vielleicht auf Seite 15 beginnen. Denn dort steht der Leitsatz allen Unterrichtens: „Von dem eigenen sinnlichen Erleben her führt der Weg besser zur Theorie als über den Vortrag abstrakter Literatur.“
Thomas Krämer