Mahlert, Ulrich (Hg.)

Handbuch Üben

Grundlagen, Konzepte, Methoden

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2006
erschienen in: üben & musizieren 4/2006 , Seite 65

In Zeiten der Verwaltung enzyklopädischen Wissens haben Handbücher Konjunktur. Sie sollen in kompakter Form das vorhandene Expertenwissen dem Praktiker an die Hand geben. Ulrich Mahlert hat nun für den Bereich des Übens ein umfassendes Handbuch vorgelegt, das den verdienstvollen Versuch unternimmt, in 17 Einzelbeiträgen von Musikern und Musikpädagoginnen, Medizinern und Psychologinnen den Stand des Wissens zusammenzufassen, unterschiedliche Haltungen und Konzepte darzustellen und praktische Anregungen zu Übmethoden und -techniken zu geben. Dieser Bereich stellte ein Desideratum dar; das nun vorliegende Buch verdient angesichts der Breite und Vielfalt der Aspekte, unter denen musikalisches Üben gesehen und besprochen wird, uneingeschränkten Respekt.
Dennoch bleibt dieses Buch ein Kompendium einzelner Beiträge, die jeweils von ihrem eigenen Üben-Begriff ausgehen und einen Einzelaspekt (mit gelegentlichen Querverweisen) thematisieren: die medizinischen und musikphysiologischen Grundlagen, das Üben als Musizieren, Improvisieren und motorischer Automatisierungsprozess, Üben im Flow, im Ensemble, im Rahmen einer Lerntheorie, bei Kindern, hinsichtlich der Fehlerbehandlung, mit körperlicher und mentaler Bewusstheit etc. Schon diese Aufzählung lässt erkennen, dass ein umfassendes, schlüssiges Gesamtkonzept gar nicht erst gesucht wurde und (noch) nicht vermittelt werden kann. Vielmehr liegen in der facettenreichen Betrachtung des Übens als musikalischem, philosophischem, wissenschaftlichem, sozialem, instrumentalpraktischem und lerntheoretischem Phänomen die Stärke und der praktische Nutzen dieses Handbuchs.
Dabei fällt allerdings auf, dass ein geisteswissenschaftlicher Zugang gegenüber empirischer Forschung bei Weitem überwiegt und dass eine deutliche Zurückhaltung gegenüber Forschung im englischsprachigen Raum zu bemerken ist, die einiges an belastbarem Wissen zur langfristigen Wirkung des Übens hätte beitragen können. In diesem Zusammenhang verwundert es dann auch nicht, dass die Expertise-Forschung nur am Rande erwähnt wird und dass der Ort des Übens in der Lern- und Begabungsforschung zwar mehrfach angesprochen, aber nirgends zentral behandelt wird.
Angesichts der Vielfalt der Artikel darf man aber sicher sein, dass jeder Instrumentalpädagoge (vokales Üben kommt explizit gar nicht vor) praktische Hilfen und Anregungen finden kann. So gibt es Beiträge, die richtig Lust aufs übende Musizieren oder musizierende Üben im Ensemble, allein am Instrument oder auch nur mit den Noten im Kopf machen; bei anderen war ich eher froh, dass die Zeit beschwerlichen Üben-Müssens gottlob vorüber ist.
Zur leichteren Handhabung dieses vielseitigen Handbuchs hätte es beitragen können, wenn der Verlag ein orientierendes Register und eine zentrale Bibliografie angefügt hätte. Dennoch ist festzustellen, dass es für alle InstrumentalpädagogInnen und MethodikerInnen ein Muss darstellt. Beim Rezensenten hat sich allerdings zuweilen der subversive Gedanke eingeschlichen, er hätte in der Zeit vielleicht doch lieber üben sollen…
Wilfried Gruhn