Ernst, Anselm

„Aber zu Hause hab’ ich’s noch gekonnt…“

Häusliches Musizieren und Üben

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2003 , Seite 08

Was das häusliche Üben der SchülerInnen anbetrifft, haben Lehrkräfte drei Aufgaben zu leisten, die nicht genug geschätzt werden können. Ihnen obliegt es, den Stellenwert der eigenen Unterrichtstätigkeit angemessen zu bewerten, Elten wohlüberlegte Vorschläge zu machen und insbesondere ihre Schülerinnen auf den Weg des systematischen und selbstständigen Übens zu führen. Der Beitrag gibt konkrete Anregungen, wie sich die „Hausaufgaben“ für die SchülerInnen gestalten lassen, um nicht eine lästige Verpflichtung zu werden.

Einmal in der Woche – und dann?

Einmal in der Woche – und das vielleicht 30 bis 36 Mal im Jahr – findet Unterricht statt. An den übrigen sechs Wochentagen und erst recht in der Ferienzeit sind die jungen MusikerInnen auf sich selbst gestellt. Wie viele Hilfen und Motivationsimpulse erhalten sie von ihrer Lehrperson im Unterricht? Welche Anregungen und Ermunterungen sollen Eltern beisteuern?
Was das häusliche Üben anbetrifft, haben Lehrkräfte drei Aufgaben zu leisten, die nicht genug geschätzt werden können. Ihnen obliegt es, den Stellenwert der eigenen Unterrichtstätigkeit angemessen zu bewerten, Eltern wohlüberlegte Vorschläge zu machen und insbesondere ihre SchülerInnen auf den Weg des systematischen und selbstständigen Übens zu führen.
• Zur ersten Aufgabe: Ich glaube, in den Köpfen der meisten MusikschulkollegInnen herrscht die Vorstellung, der Instrumentalunterricht sei das Eigentliche für die SchülerInnen und für den Gesamtbetrieb Musikschule. Ich meine jedoch, dass er immer nur “dienende” Funktion besitzt. Er soll dazu führen, dass Kinder/Jugendliche möglichst bald in einem Ensemble mitwirken können. Und er soll geplante Anleitung und inspirierte Anregung geben, zu Hause allein und mit anderen zu musizieren und zu üben. Die Hauptsache findet also – konsequent bedacht und bewertet – nicht im einmalig-wöchentlichen Unterricht statt, trotz seiner Bedeutung und Exponiertheit. Die SchülerInnen erhalten vielmehr Unterricht, damit sie zu Hause üben und musizieren können, damit sie eine interessante und sinnvolle Freizeitgestaltung erwerben. Und sie üben und musizieren außerdem zu Hause, damit sie qualifiziert in einem passenden Ensemble mitspielen können.
• Zur zweiten Aufgabe: Selbstverständlich sollen auch die Eltern ihren Anteil an den pädagogischen Aufgaben übernehmen. Wie dies geschehen kann, mag ein unten aufgeführter “Briefentwurf” verdeutlichen. Aus meiner Sicht ist der Akzent auf die unterschiedlichen Rollen von Eltern und Lehrpersonen zu legen. Den Eltern obliegt es, den Kindern regelmäßiges Üben abzuverlangen und eine positive, förderliche Atmosphäre entstehen zu lassen. Den LehrerInnen kommt es zu, in jeder Weise pädagogisch und fachlich Üben und Musizieren aufzubauen und die Fortschritte sachlich mit den SchülerInnen zu bewerten.
• Zur dritten Aufgabe: Freude am Musizieren kann nur entstehen, wenn Kinder/Jugendliche wissen, wie sie zu befriedigenden Erfolgen und Erlebnissen gelangen. Deshalb können sich Lehrkräfte nicht genug darum bemühen, ihren SchülerInnen Übemethodik und gleichzeitig Übemotivation zu vermitteln. Es gilt, das Üben zu üben und darüber hinaus Freude zu erleben, selbst wenn das Üben häufig mühsam ist. Aus vielen Gesprächen mit Studierenden weiß ich, dass auch im Hochschulunterricht die zielstrebige Auseinandersetzung mit Übemethoden häufig zu kurz kommt. Kaum ein Studierender lernt beispielsweise das Mentale Training kennen. Deshalb muss man annehmen, dass sich dieser Mangel auch in der späteren, eigenen Unterrichtstätigkeit bemerkbar macht. Das Thema “Üben” sollte demnach in jeder Unterrichtsstunde ein wesentliches Anliegen sein.

Häufige Übeprobleme

Schauen wir einmal dem achtjährigen Peter zu, wie er an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag “Flöte übt”. Peter liest in seinem Zimmer gerade in einer spannenden Autozeitschrift. Das neueste Modell eines Sportwagens interessiert ihn besonders. Die Tür geht auf und die Mutter (der Vater) kommt herein. Die berühmte Frage ertönt: “Hast du heute schon geübt?” Zögerlich kommt die Antwort: “Nein.” “Aber wir hatten doch ausgemacht, dass du nach den Hausaufgaben übst und dann erst zu deinem Freund gehst.” “Ich habe aber keine Lust!”
Nach einigen weiteren Bemerkungen: “Wo ist eigentlich deine Flöte?” “Mal seh’n.” “Was hast du denn auf?” “Weiß ich nicht.” “Aber du hast doch ein Aufgabenheft!” “Muss ich suchen.” “Bitte fang’ jetzt sofort an.”
Die Mutter (der Vater) geht hinaus. Peter hat reichlich langsam den Notenständer aufgebaut, sowohl Flöte als auch Aufgabenheft entdeckt und schließlich auch noch die Noten hervorgekramt. Er beginnt nun zu “üben”. Allerdings fällt sein Blick bald auf die Autozeitschrift. Schon hat er sie zur Hand genommen und liest. In diesem Moment kommt die Mutter (der Vater) wieder zur Tür herein: “Aber so geht’s doch nicht…”
Was lässt sich alles zum Üben von Peter sagen? Welche wirkungsvollen Vorschläge der Eltern könnte Peter sofort in die Tat umsetzen?
• Das Instrument sollte an einem sicheren Ort offen bereitliegen und durch den bloßen Anblick zum Üben auffordern.
• Auch der Notenständer hat seinen festen geeigneten Platz. Auf ihm befinden sich die Noten.
• Der Übeplatz sollte gut beleuchtet sein, am besten mit natürlichem Licht.
• Der Raum sollte gelüftet und angenehm temperiert sein.
• Nichts sollte nach Möglichkeit vom Üben ablenken.
Das wäre zunächst einmal zu den äußeren Gegebenheiten festzustellen. Was das Üben selbst betrifft, können wir häufig die bekannten Mängel konstatieren:
• Das Kind beginnt sofort zu spielen, ohne sich aufzuwärmen oder einzuspielen.
• Es spielt zu schnell.
• Es spielt das Musikstück von vorne bis hinten durch.
• Oder es beginnt bei einem Fehler immer wieder von vorne.
• Fehler werden oft nicht bemerkt und bleiben unkorrigiert.
• Der ganze Übeprozess ist planlos.
Hinzu kommen weitere Probleme:
• SchülerInnen vergessen, was und wie geübt werden soll.
• Sie verstehen die Aufgaben nicht richtig.
• Sie üben unregelmäßig.
• Sie üben selten, aber komprimiert.
• Sie spielen erst kurz vor dem Unterricht alles durch.
• Sie üben gar nicht.

Viele dieser Übeprobleme betreffen die Verantwortung der Lehrkraft und haben mit der Vermittlung einer vielseitigen und differenzierten Übemethodik zu tun. Leider müssen wir uns immer wieder die hier aufgeführten Übefehler bewusst machen. Denn in der Regel täuschen wir uns über die Qualität des häuslichen Übens. Wenn wir im Unterricht mit den Kindern üben, mag der Übestil ja zufrieden stellend aussehen. Aber zu Hause regredieren unsere SchülerInnen. Fehlt die äußere Kontrolle, dann fallen sie leicht auf ein niedrigeres Niveau des Tuns zurück. Auf einige Probleme hat allerdings die Lehrkraft keinen direkten Einfluss. Hier sind vielmehr die Eltern gefordert. Wie eine Lehrkraft die Eltern in die Übethematik mit einbeziehen kann, soll der nachfolgende Briefentwurf (unten als Word-Datei zum Download) demonstrieren.

Liebe Eltern und Erziehende,

sicherlich ist es Ihr Wunsch, dass Ihr Kind große Freude am Instrument und am Musizieren hat. Sie haben sich vielleicht schon gefragt, wie Sie selbst Ihrem Kind helfen können, “bei der Sache” zu bleiben. Möglicherweise hat es schon Ärger gegeben, weil Ihr Kind gelegentlich oder sogar öfter keine Lust zum Üben hatte.

Wir, die Lehrkräfte der Musikschule …, haben uns Gedanken gemacht, was Sie beachten und tun können.
Ganz allgemein gilt, dass Ihr Kind:

• möglichst täglich

• eventuell zur selben Zeit

• an einem freundlichen und hellen Ort

• im Tagesablauf gut platziert

• ohne Störungen durch Geschwister oder andere Umstände üben und musizieren sollte.

Bitte handeln Sie diese “Regeln” mit Ihrem Kind so aus, dass es ihren Sinn einzusehen vermag und gleichzeitig an ihrer Aufstellung beteiligt ist.
Was können Sie nun selbst tun, um die Spiel- und Übelust Ihres Kindes anzuregen und zu erhalten?
Wir schlagen Ihnen Folgendes vor:

• Hören Sie Ihrem Kind beim Spielen öfter zu.

• Loben Sie es für das, was es schon kann.

• Ermuntern Sie es, wenn sich Schwierigkeiten zeigen sollten.

• Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Musik.

Bitte vermeiden Sie es jedoch, das Kind zu verbessern, zu kritisieren, zu bestrafen. Es ist sehr von Vorteil, wenn Sie all diese für Ihr Kind unangenehmen Dinge der Lehrperson überlassen.
So können Sie und Ihr Kind nämlich ganz unbelastet eine warme und konstruktive Atmosphäre für das Üben und Musizieren bewahren.
Woran könnte es liegen, wenn Ihr Kind auffällig oft und über längeren Zeitraum hinweg keine Lust auf sein Instrument verspürt?

• Spielt Ihr Kind eigentlich das Instrument seiner Wahl?

• Hat es die passende Lehrerin bzw. Lehrer gefunden?

• Steht es in Konkurrenz zu einem Geschwister, das das gleiche Instrument spielt?

• Oder ist Ihrem Kind ein anderes Hobby wichtiger?

Es liegt auf der Hand, dass hier ein klärendes Gespräch zu helfen vermag.
Wir, die Lehrkräfte der Musikschule, werden das Unsrige tun, um Ihr Kind so gut wie möglich zu motivieren, indem wir abwechslungsreich und spielerisch unterrichten, Ihr Kind möglichst bald in einem Ensemble mitspielen lassen und viele Gelegenheiten schaffen, das Erlernte bei Auftritten vorzustellen.

Kommentar

Der hier vorgelegte Elternbrief kann als Muster oder Anregung benutzt werden, mit Eltern über das zentrale Problem des instrumentalen Lernens ins Gespräch zu kommen und ihnen einige Vorschläge zu machen. Oft treten ja Eltern mit der Frage an die Lehrkräfte heran, wie sie selbst das Üben und Musizieren ihrer Kinder unterstützen können.
Der Text ist hervorgegangen aus Vorträgen/Gesprächen mit Eltern. Ich glaube, er enthält die wesentlichen Punkte, die in Gesprächen immer wieder auftauchen.
Im ersten Abschnitt kommt sicherlich dem Wort “Freude” eine Schlüsselbedeutung zu. Dass Musizieren Freude bereiten und dass diese Freude das Ziel des Lernens sein soll, scheint selbstverständlich. “Freude” schließt jedoch vieles ein und vieles aus. Freude ist beispielsweise nicht mit oberflächlichem Spaß gleichzusetzen, der beim anstrengungslosen Konsum von Genussmitteln empfunden wird. Freude schließt ein: Anstrengung und Herausforderung, neue Kompetenzen erwerben, über sich hinauswachsen, mit sich zufrieden sein, sich lebendig fühlen, sich ganz einer Tätigkeit hingeben können, Sinn im eigenen Tun erleben. Ausgeschlossen ist dabei Leistungsdruck und zwanghaftes Streben nach Wettbewerbserfolg oder falscher Ehrgeiz von Eltern und LehrerInnen.
Für einige Punkte des Briefs lassen sich die plausiblen Ergebnisse einer Studie als überzeugende Hintergrundinformationen aufführen.* Die Studie kann darlegen, dass folgende Gründe zum vorzeitigen Abbruch des Instrumentalunterrichts führen:

1. unregelmäßiges Üben
2. eine unerfreuliche Beziehung zwischen Schülerperson und Lehrerperson
3. Geschwisterkonkurrenz beim Erlernen des gleichen Instruments
4. zum Spiel eines ungeliebten Instruments gezwungen werden – nicht das Wunschinstrument spielen zu können.

Daraus lassen sich folgende pädagogische Vorschläge ableiten:
Eltern sollten wohl oder übel dafür sorgen, dass ihre Kinder regelmäßig üben. Das muss allerdings nicht täglich geschehen. Ausnahmen sind für Kinder immer wohltuend, weil sie auf angenehme Weise erleben, dass ihre Eltern großzügig und verständnisvoll sein können.
Argumentativ können Eltern ihren Kindern verständlich machen, dass der Instrumentalunterricht mit teilweise erheblichen Kosten verbunden ist und gegebenenfalls das Familienbudget sinnlos belastet.
Wann SchülerInnen gut platziert im Tagesablauf üben können/sollen, lässt sich immer weniger allgemein verbindlich sagen. Hierin ist wohl sehr große Flexibilität von Nöten. Für einige Kinder/Jugendliche ist es erholsam, sich nach der Schule auf dem Instrument erst einmal “auszutoben”. Für andere ist das Prinzip “erst die Arbeit, dann das Spiel” sinnvoller. Das heißt: erst die Hausaufgaben, dann das Üben/Spielen auf dem Instrument und schließlich zu den FreundInnen gehen. Aber auch gänzlich andere Regelungen sind denkbar.
Manche Eltern schließen regelrechte Verträge mit ihren Kindern ab, die für beide Seiten akzeptabel ausgehandelt werden. Ein Junge kam beispielsweise in den Genuss, für jede Viertelstunde Üben auf der Trompete 45 Minuten Spielzeit am PC zu erhalten. Seine Übezeit auf dem Instrument betrug dann manchmal 45 Minuten.
Geschwister sollten sich nach Möglichkeit nicht ins Gehege kommen, sondern ihr eigenes musikalisches Territorium erhalten, also ein jeweils anderes Instrument erlernen. Auf diese Weise bieten sich auch interessante Möglichkeiten für das gemeinsame Musizieren.
Für weitere Vorschläge des Briefs lassen sich Ergebnisse der Pädagogischen Psychologie anführen, die seit langem zum anerkannten Wissensbestand gehören:
• Nach der wöchentlichen Unterrichtsstunde sollte recht bald geübt werden, damit sofort gefestigt und vertieft werden kann, was erarbeitet und verstanden wurde.
• Die Umgebung, in der ein Kind übt, wird gewissermaßen “mitgelernt”. Sie sollte deshalb, wie oben bereits angemerkt, angenehm und einladend sein.
• Belohnungen für regelmäßiges, erfolgreiches und ausdauerndes Üben können sehr sinnvoll sein. Welche Belohnung in welchem Umfang jedoch angebracht ist, kann ganz und gar nicht vorausgesagt werden. Man kann nur vorschlagen, hierin erfinderisch zu sein, individuell nach dem Passenden suchen und mit dem Kind darüber zu sprechen.
• Viele Kinder müssen sich oft zum Üben überwinden. Aber der “Appetit kommt häufig mit dem Essen”. So kommt es also darauf an, den Kindern mit viel Ermunterung und Anregung den Einstieg ins Üben zu erleichtern. Das heißt für die Eltern, in der Aufwärmphase dabei sein, ein interessantes Spiel initiieren oder gemeinsam ein Lied singen/spielen.
• Ein Kind sollte bei seinen Fortschritten nur mit sich selbst verglichen werden. Lob und Anerkennung erhält es für seine persönlichen Leistungen. Der Vergleich mit anderen – die realistische Selbsteinschätzung – kommt sozusagen von selbst. Er ergibt sich im Gruppenunterricht oder im Ensemble.
• Wir wissen, wie wichtig es ist, dass sich Eltern Zeit für ihre Kinder nehmen. Die Qualität der Zuwendung ist jedoch allgemein wichtiger als die Quantität. Der entscheidende Punkt ist, ganz dabei zu sein und intensives Interesse für das Kind aufzubringen. Alles weitere ist dann eine Frage des rechten Gespürs und der Balance.

Das alles also steht in der Verantwortung der Eltern.
Die Aufgaben einer Lehrkraft sind keineswegs geringer. Sie sind vor allem vielfältiger. Sie sind eingebettet in den Gesamtkontext des Unterrichtens. Häusliches Musizieren und Üben ist direkt verknüpft mit dem, woran häufig eine Lehrkraft buchstäblich “zuletzt” denkt: die Hausaufgaben.

“Hausaufgaben”

Das Wort “Hausaufgaben” ist für viele mit unangenehmen Assoziationen verbunden. Erinnert es doch unvermeidbar an Schule, an die Aufgaben, die das Leben außerhalb der Schule ganz schön schwer machen. Je zahlreicher und je schwieriger die Hausaufgaben, um so deutlicher reduziert sich die eigene freie Zeit. Denn Hausaufgaben stellen eine zwingende Verpflichtung dar zu arbeiten, zu üben, zu lernen.
Und selbstverständlich ist hierüber schon manche schulpädagogische Diskussion ausgebrochen, zum Für und Wider, zu Umfang und Qualität der Aufgabenstellungen. Was das instrumentale Üben und Musizieren betrifft, kann diese Diskussion erst gar nicht aufkommen. Die so genannten Hausaufgaben sind auch hier gewiss eine Verpflichtung, jedoch ganz anderen Charakters. Denn im häuslichen Üben und Musizieren vollzieht sich der eigentliche Lernprozess, und damit außerhalb des Instrumentalunterrichts. Der Unterricht selbst ist den Pfeilern einer Brücke vergleichbar. Je besser diese Pfeiler aufgebaut werden, umso sicherer spannt sich die Brücke. Der Unterricht hat in diesem Sinne zwei Aufgaben zu erfüllen: die Inhalte des Übens auszuarbeiten und die Methoden des Übens eindrücklich zu vermitteln. Es wäre ideal, wenn das Was und das Wie des häuslichen Musizierens zwanglos und selbstverständlich aus dem gesamten Unterrichtsverlauf erwachsen.
Der beste “Nährboden” für das häusliche Musizieren und Üben besteht also in einem spannenden, abwechslungsreichen Unterricht. Dieser weist langfristig die ganze Fülle der Lernfelder auf und ist immerzu angereichert mit der ausdrücklichen und detaillierten Aneignung von Lernstrategien und Übemethoden. Aus einem derartigen Unterricht heraus werden variierend interessante und herausfordernde Aufgaben für das häusliche Musizieren und Üben gemeinsam mit den SchülerInnen formuliert. “Hausaufgaben stellen” ist unter solch geglückten Bedingungen eine eigenständige didaktische Handlung, die in der Unterrichtsvorbereitung gesondert bedacht und im Unterrichtsablauf überlegt platziert wird. Das würde selbstverständlich ausschließen, dass man am Schluss der Unterrichtsstunde noch in aller Eile aus dem Stegreif ein paar Aufgaben notieren lässt, von denen man nicht so recht weiß, ob sie in Umfang, Schwierigkeitsgrad und Anregungsgehalt wirklich den SchülerInnen gerecht werden. Natürlich sollen unsere SchülerInnen Technik auch trimmen und Stücke einpauken. Aber “Trimmen” und “Einpauken” erhalten einen anderen Charakter und einen anderen Stellenwert, wenn oft genug kreative und produktive Aufgaben gestellt werden.

Im Folgenden nun einige Vorschläge für interessante Aufgabenstellungen:
• mehrere Stücke vom Blatt spielen; Blattspielen üben und gleichzeitig ein neu zu erarbeitendes Stück auswählen
• in einer Liedsammlung ein interessantes Lied auswählen und auswendig lernen
• ein Lied auswendig lernen und es in der nachfolgenden Stunden den anderen SchülerInnen der Gruppe auditiv vermitteln
• Improvisieren üben mit genauen Zielvorgaben
• in gleicher Weise eine kleine Komposition anfertigen
• für eine Komposition aus dem Barock Artikulation und Dynamik erproben und im Notentext eintragen
• für die spieltechnischen Schwierigkeiten eines Stücks Übungen erfinden
• Rhythmusübungen für den Gruppenunterricht vorbereiten und im Unterricht mit den MitschülerInnen erproben
• ein Musikstück für die Aufführung mental durcharbeiten und “absichern”
• Körperübungen, die auf individuelle Schwierigkeiten ausgerichtet sind, immer wieder nach kurzen Übephasen ausführen
• mit Lernmaterial elementare Musiklehre erarbeiten und üben.

Weitere Vorschläge

Damit sind gewiss die Mittel noch nicht ausgeschöpft, die wir einsetzen können, um häusliches Musizieren und Üben vom Unterricht her intensiv zu unterstützen.
Eine beliebte und effiziente Methode besteht darin, genau – jedoch wohldosiert – aufzuschreiben, was und wie im Einzelnen zu üben ist, z. B.:
• im Notentext der Vermerk “6 W”, d. h. jedesmal wenn man an diese Stelle gelangt: sechsmal wiederholen
• eine Schnecke in den Notentext gemalt bedeutet: sehr langsam spielen
• erst die markierten schwierigen Stellen langsam, mehrfach wiederholen; dann diese Stellen in immer größere Zusammenhänge einbauen
• markierte Stellen parallel üben
• nicht von vorne, sondern von hinten das Stück abschnittweise erüben
• bezeichnete Abschnitte oder ganze Stücke: genau analysieren, klatschen, durchbuchstabieren, singen, auswendig lernen, niederschreiben usw.

Sehr vorteilhaft ist es auch, mit den SchülerInnen den psychologisch-physiologisch sinnvollen Aufbau der täglichen Übesequenz zu besprechen und als Erinnerungsstütze aufzuschreiben, so etwa:

1. kurz aufwärmen
2. etwas spielen, was man sehr mag und gut kann
3. jetzt noch einmal konzentriert technisch einspielen
4. und nun an die wirklich schwierige Hauptaufgabe
5. danach wieder etwas Leichtes und Angenehmes
6. und kurze Entspannungspausen immer wieder bewusst einlegen!

Auch mit einem Wochen-Übe-Plan kann man beste Erfolge erzielen. Er weist tabellarisch Folgendes auf:

a. Tag und Übedauer
b. Gegenstand des Übens
c. Rang- und Reihenfolge der Übeinhalte
d. Notizen über das, was gut gelang
e. Notizen über das, was Schwierigkeiten bereitete.

Sicherlich werden die meisten KollegInnen hier bekannte, ja selbstverständliche Vorschläge entdecken. Das soll auch so sein. Ich erhielt nämlich bezeichnenderweise viel, sehr viel Zustimmung von den Kolleginnen und Kollegen, als ich eine Fortbildung zum Thema “Üben” mit den Worten beendete: “Pädagogische Professionalität besteht im Wesentlichen darin, das Selbstverständliche zu tun.”

* Werner Jünger/Roland Merkel/Hans Rectanus: “Faktoren des Scheiterns. Über den Abbruch der Instrumentalausbildung an Musikschulen”, in: Üben & Musizieren 4/94, S. 3 ff.