Schüßler, Werner

My Voice

Stimm-Entwicklung mit 205 Übungen für Solisten, Ensemb­les, Chöre und Gesangslehrer, mit mp3-CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Voice & Sound Verlag, ­Udenheim 2017
erschienen in: üben & musizieren 2/2018 , Seite 56

Bei der Grundhaltung zum Thema „Einsingen und Stimmbildung für Chöre“ geht die Schere besonders weit auseinander: Manche ChorleiterInnen verzichten ganz darauf („Wir fangen gleich an“), andere bevorzugen das werkbezogene Einsingen, wieder andere stellen gar geschulte Stimmbildner ein und ermög­lichen dem Chor eine ausführliche Phase des Einsingens unter professioneller Anleitung. Für letzteren Fall hat Werner Schüßler ein Übungsheft herausgegeben, das mit dem Titel My Voice auch GesangsschülerInnen und deren Lehrkräfte ansprechen möchte.
Schüßler wirkt als Chorleiter und Stimmbildner mit der Ausrichtung zur funktionellen Gesangspädagogik. Seine im Selbstverlag herausgegebene Veröffent­lichung schwankt auf 90 Seiten zwischen durchaus brauchbaren Erfahrungen aus der Praxis im hessischen Umfeld und dem Anspruch, mit einer Vielzahl an Anglizismen weltläufig sein zu wollen. So heißen lockernde Körperübungen Warm-ups, aus Zeitnot geborene Einsingübungen Speedy Warm-ups und das Einsingen in Gruppen nennt Schüßler dann Group Warm-ups. Letztendlich verbirgt sich dahinter jedoch ziemlich viel Bodenständiges, auch bei den zahlreichen und durchaus ansprechend-musikalisch gestalteten Stimmübungen, die auf der beigefügten CD in tiefer oder hoher Lage abgehört werden können.
Ich fand beim Ausprobieren ganz Traditionelles vor, nämlich zwei- bis viertaktige Vokalisen mit Klavierbegleitung, die sich chromatisch auf- und dann wieder abwärtsschrauben. Und spätestens hier entdeckt man die wohl größte Schwäche von Schüßlers Band: Es geht eben nichts über das kontrollierende Ohr und erst recht nichts über gezielte Anmerkungen des Stimmbildners. Man fühlt sich alleine gelassen, obwohl die Erklärungen und Anweisungen zu den Übungen konzis und verständlich verfasst sind.
Und mehr will das Buch auch gar nicht: einen Querschnitt vermitteln durch Lockern und Einsingen, durch Atmen und Hilfestellung bei Koloraturen – und immer wieder kursorisch anwendbare Hinweise geben für Klassik und Pop, durch Bilder und Notenbeispiele. Und weil Schüßler gerne aus seiner Praxis erzählen und dabei locker sein möchte, erinnert das Konzept gelegentlich an Vorbilder wie Singen für Dummies, z. B.: „Diese non-verbale Lautäußerung erinnert weniger an die Scala in Mailand als an das Delfinarium in Duisburg. Gib deinem Spieltrieb nach.“ Doch es finden sich auch gute, seriöse Verweise. So entpuppen sich die Übungen zur Strukturierung des Brillanzbereichs als besonders hilfreich und effektiv. Und die akkord­gestützten Vor­gaben mit Übungs­anweisungen zum Agieren im Ensemble können richtig Spaß machen.
Bleibt die Frage, ob man das Buch empfehlen kann. Ja, warum eigentlich nicht? Man darf nur nicht allzu hohe Erwartungen an wirklich nachhaltige stimmbildende Effekte haben.
Thomas Krämer