Gretsch, Stefan

Kein bisschen besser

Ergebnisse der dritten Umfrage der ver.di-Fachgruppe Musik 2017 liegen vor

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2018 , musikschule )) DIREKT, Seite 08

Die negative Entwicklung der sozialen Situation der meisten Lehrkräfte an deutschen Musikschulen setzt sich fort. Die bundesweit fortschreitende Um­wandlung fester Arbeitsverhältnisse in unsichere Beschäftigungsverhältnisse hat die soziale Lage der Lehrkräfte erneut dramatisch verschlechtert. Das ist das im Dezember 2017 veröffentlichte ­Ergebnis der dritten Umfrage der ver.di-Fachgruppe Musik.

Die Resultate sind erschreckend: 2008 lag der Anteil der Honorarbeschäftigungen in den alten Ländern noch bei 33 Prozent, in den neuen Ländern bereits bei 60 Prozent. 2017 sind es fast 60 Prozent in den alten und über 70 Prozent in den neuen Ländern (in Berlin sogar rund 93 Prozent). Gleichzeitig liegen die durchschnittlichen Jahreseinkommen weiterhin nur bei rund 13300 Euro brutto. Davon kann keiner würdig leben. Davon kann sich niemand zusatzversichern.
Die Umfragen von 2012 und 2017 belegen, dass die Politik den Negativtrend, insbesondere den Stellenabbau ungebremst fortsetzt, und zwar in allen Bundesländern mit Ausnahme Berlins, das seit vergangenem Jahr eine Umsteuerung eingeleitet hat. Als Begründung wird regelmäßig die Finanznot der Kommunen oder des Landes ins Feld geführt. Bei den Einnahmen, so wird argumentiert, lasse sich ohne prob­lematische Gebührenerhöhungen nichts machen, und bei den Ausgaben kämen nur die Personalkosten in Betracht, wenn die Musikschule mit ihren Qualitätsstandards erhalten bleiben solle. Probates Mittel sei da nun einmal der Stellenabbau und die Schaffung von preiswerteren „freien“ Mitarbeiterverhältnissen. Der Verlust wesentlicher Sicherheiten wie Kündigungsschutz, Arbeitslosen- und Sozialversicherung oder Altersvorsorge wird billigend in Kauf genommen. Der gesetzliche Status der „Arbeitnehmerähnlichkeit“ beschert den Betroffenen zwar das Recht auf Mindesturlaub, macht das Beschäftigungsverhältnis aber nicht sicherer. Perspektiven zur eigenen Lebens- und Familienplanung sind erschwert bis unmöglich.

Steigende Kosten für Sozialleistungen

Solche Konstruktionen sind vor dem Hintergrund sinkender Sozialstandards und bereits einsetzender Altersarmut ein arbeits- und sozialpolitscher Irrwitz. Denn die Kosten für den sich ständig erweiternden Bedarf an Sozialleistungen werden langfristig sämliche Einsparungen in der Personalpolitik um ein Vielfaches übersteigen. Wenn obendrein die Öffentliche Hand entgegen ihrer Vorbildverpflichtung den Vor-Turner für die Schaffung von Prekariat und Altersarmut in den eigenen Reihen gibt, dann ist kaum vorstellbar, wie der bereits gefährdete soziale Frieden erhalten bzw. wiederhergestellt werden kann.
Zur Erinnerung: Musizieren ist ein wichtiges persönlichkeitsformendes Moment, im gemeinsamen Tun mit anderen zudem ein bedeutender sozialer Akt. Musizieren ist damit auch ein erfolgreicher Baustein zu Integration und Inklusion. Das war schon so, als diese Begriffe noch nicht in aller Munde waren, gewinnt aber bekanntermaßen sehr an Bedeutung.

Die Befähigung zum Musizieren vermittelt an vorderster Linie die kommunale Musikschule. Sie tut dies als Begabtenförderung ebenso wie im Bereich ihres Auftrags zur musikalischen Breitenbildung. Für die kommunalen Musikschulen gibt es deshalb – auch im Sinne der VdM-Richt­linien – keine stichhaltigen Gründe, „freie“ Mitarbeitsverhältnisse als Standard zu begreifen. Dennoch wird es fast überall gemacht, obwohl allen Beteiligten, insbesondere den politischen Entscheidungsträgern, klar sein muss, dass sie damit in großem Stil eine komplette Berufsgruppe durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse einer prekären Lebenssituation aussetzen.

Musikschulen müssen bedarfsgerecht wachsen

Mit wachsenden Wartelisten und sich abzeichnendem Fachkräftemangel kann die Musikschule ihrem Bildungsauftrag nicht (mehr) gerecht werden. Die nicht neue, aber dennoch richtige Folgerung lautet: Die Fest­anstellung der Lehrkräfte muss wieder der Regelfall sein, Wartelisten sind unter allen Umständen zügig abzubauen. Die Musikschulen müssen endlich wieder bedarfs­gerecht wachsen dürfen, und zwar ohne Zwang zur Ausbeutung der Lehrenden und ohne Zwang zur Ausgrenzung sozial schlechter gestellter Nutzer.

Ausgerechnet Berlin – das enfant terrible der kommunalen Musikschulträger – zeigt, wie es gehen kann, wenn Politik es wirklich will: Das Land hat zunächst 2,5 Millionen Euro Zusatzmittel bewilligt für einen sofortigen Stellenaufbau von derzeit sieben Prozent auf mindestens 20 Prozent festangestellter Lehrkräfte an den bezirk­lichen Musikschulen. Das ist ein spürbarer erster Schritt in die richtige Richtung.

Details zu den Umfrageergebnissen: www.musik.verdi.de/musikschulen/umfrage