Schmidt, Claudia

Individuell gestalten

Inklusive Praktiken im Klavierunterricht entwickeln

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 3/2018 , Seite 36

Immer wieder berichten Eltern, dass ihre Kinder keinen Klavierunterricht bekommen konnten, weil sie „Grund­voraussetzungen“ wie zum Beispiel Hand- und Sitzhaltung nicht erfüllten oder mit ihrer Art der Kommu­ni­kation nicht verstanden wurden. Claudia Schmidt gibt Anregungen für das Klavierspiel mit SchülerInnen mit Lern- und Wahrnehmungs­schwierigkeiten und möchte dazu ermutigen, möglicherweise auch ungewöhnliche Wege mit diesen SchülerInnen zu gehen.

Auch wenn Musikschulen verpflichtet sind, ein Angebot für jeden zu bieten, der interessiert ist, ein Instrument zu erlernen, gibt es immer noch große Unsicherheiten innerhalb des Kollegiums, der Schulleitung und der Schulverwaltung, wie man z. B. Anfragen nach Unterrichtsangeboten für Kinder mit Beeinträchtigung begegnet. Viele Lehrkräfte fühlen sich zu wenig ausgebildet oder vorbereitet für Menschen, die andere Lernwege gehen oder auf andere Art kommunizieren.
Seit 20 Jahren arbeite ich unter anderem im Klavierunterricht sowohl mit SchülerInnen, die kognitiv vermittelte Inhalte gut erfassen können, als auch mit jenen, die andere Herangehensweisen benötigen. Allen gemeinsam ist der Wunsch, Klavier spielen zu können, egal ob Popmusik- oder Klassikfan. Die Lernwege und das Lerntempo können dennoch sehr verschieden sein. Mein Ziel ist es, jedem Einzelnen den für seine individuellen Bedürfnisse passenden Unterricht anzubieten, egal ob im Einzel- oder Gruppenunterricht.

Keyboard – eine Alternative zum Klavier?

Beim Klavier ist die Musik körperlich erfahrbar, man kann den Klang und die Resonanz spüren. Das ist für viele SchülerInnen wichtig. Dennoch bietet auch das Keyboard einige Vorteile. So eignet es sich als Instrument aus der Pop- und Rockmusik besonders für jene, die sich für Songs aus dem populären Bereich interessieren und/oder in einer Band spielen wollen, sowie für einige Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Hierbei ist es möglich, für SchülerInnen mit sehr kleinen Händen ein besonders kleines Instrument mit kleinen Tasten zu wählen. Für Menschen, die nicht viel Fingerkraft einsetzen können, ist ein Keyboard ebenfalls leichter zu spielen. Auch ein Umbau des Instruments für Menschen, die eine andere Sitzhaltung, Unterstützung bei der Handhaltung oder eine andere Sitzhöhe benötigen, ist beim Keyboard leichter zu verwirklichen. Ein unregelmäßiger Anschlag (z. B. verursacht durch Ata­xie, Athetose oder Spastik) kann durch die Aufhebung der Anschlagsdynamik (mit Hilfe der „touch“-Taste) ausgeglichen werden, sodass der Klang eines Stücks nicht beeinträch­tigt wird.
Durch die technischen Möglichkeiten des Key­boards mit seiner Begleitfunktion („accompaniment“) kann ein Song schon mit wenigen spielerischen Fertigkeiten dem Original ähnlich klingen. Mit wenig Einsatz ist ein maximaler Sound zu erreichen. Beispielsweise kann im Singlefingermodus mit nur einem Finger die gesamte Begleitung (Gitarre, Bass und Schlagzeug) gespielt werden. Die unterschiedlichen Sound-Einstellungen und Schlag­zeug-Grooves ermöglichen Abwechslung in der Übephase. Ein Song kann immer wieder anders klingen und das Wiederholen der Melodiephrase wird nicht langweilig.

Gleiche Inhalte müssen ­möglichst in vie­len Ab­wandlungen immer wieder geübt werden.

Ebenfalls interessant ist das Keyboard für den Einsatz in einer Pop- oder Rockband. Durch die „transpose“-Taste kann ein Song in allen Tonarten gespielt werden. Auch ein Solo auf den schwarzen Tasten (Pentatonik) kann in jede Tonart transponiert werden. Durch verschiedene atmosphärische Sounds (Vogelgezwitscher, Wellen u. a.) ist es möglich, SpielerInnen einzubinden, die noch keine Melodie spielen können oder Schwierigkeiten in der Feinmotorik haben. So können bereits Schülerinnen und Schüler mit geringen spielerischen Fertigkeiten variabel in einer Band eingesetzt werden. Alle im Weiteren vorgestellten methodischen Hinweise für den Klavierunterricht lassen sich auch auf das Keyboardspiel übertragen.

Unterrichtsmethoden

Betrachtet man den VdM-Lehrplan Klavier,1 so wird man feststellen, dass die nachfolgend beschriebenen Lerninhalte und Unterrichtsmethoden überwiegend Teil des regulären Lehrplans sind. Im Folgenden möchte ich daher auf einige der im Lehrplan angesprochenen Kernkompetenzen genauer eingehen und sie im Bezug auf den Unterricht für SchülerInnen mit Lern- und Wahrnehmungsschwierigkeiten darstellen.
– Die Unterrichtsmethodik sollte geprägt sein von nonverbaler Kommunikation – wie Vor- und Nachspielen oder Spielen und Singen nach Gehör – sowie häufigen Wiederholungen. Da die Aufmerksamkeitsspanne oft begrenzt ist, sind viele Phasen- und Methodenwechsel innerhalb einer Stunde notwendig.
– Die Wiederholung hat einen hohen Stellenwert. Gleiche Inhalte müssen möglichst in vie­len Abwandlungen immer wieder geübt werden. Neue Inhalte sollten nur in kleinen Schrit­ten eingeführt werden.

1 Verband deutscher Musikschulen: Lehrplan Klavier, Bosse, Kassel 2010.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2018.