Orff, Carl / Gunild Keetman

Gassenhauer nach Hans Neusiedler (1536)

für Klavier/für Klavier ­vierhändig

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2017
erschienen in: üben & musizieren 3/2018 , Seite 57

Der Gassenhauer ist das bekannteste und beliebteste Stück aus dem Orff-Schulwerk, das in weiten Teilen ein Gemeinschaftswerk von Carl Orff und Gunild Keetman ist. Zugrunde liegt eine kurze, eingängige Lautenkomposition des Renaissance-Komponisten und Lautenisten Hans Neusiedler, nicht viel mehr als eine rhythmisch bewegte D-Dur-Kadenz im Dreiviertel-Takt.
Orff und Keetman transponieren das Stück nach C-Dur und entwickeln daraus eine Variationenreihe für ihr typisches Instrumentarium Xylofon, Kastagnetten, Pauken und Schellen. Das harmonisch-melodische Schema Neusiedlers bleibt durchgehend erhalten, und zu den Dreiklangs­tönen gesellen sich erst in den letzten beiden der insgesamt sieben Variationen einige wenige Durchgangsnoten. Ihre Spannung beziehen die Variationen aus einer mitreißenden dynamischen und klanglichen Steigerung. Von der Mittellage ausgehend kommen immer mehr Oktavlagen ins Spiel, die Akkorde werden vollgriffiger und es treten immer neue Instrumente hinzu. Große Popularität erlangte das Stück, als es zunächst 1973 im Soundtrack des Films Badlands von Terrence Malick Verwendung fand, 20 Jahre später auch in True Romance von Quentin Tarantino.
Die hier vorgestellten Arrangements für Klavier solo und Klavier vierhändig von Robert Schäfer halten sich eng an die Vorlage von Orff/Keetman. Es gelingt dem Arrangeur sehr gut, den rhythmischen und dynamischen Schwung des Stücks auf das Klavier zu übertragen. Zwar erreicht die Bearbeitung nicht die Farbigkeit und räumliche Tiefe der Vorlage, da diese sich im Wesent­lichen der Instrumentierung verdankt. Dennoch macht es großen Spaß, das Stück am Klavier zu spielen.
Die Notentexte beider Versionen sind nahezu identisch, dadurch ist die vierhändige Fassung wesentlich leichter zu spielen als die Soloversion. Zu zweit bleibt auch das bei Orff so wichtige Erlebnis des Ensemblespiels erhalten. Die Freude an der klanglichen Expansion und das körperliche Erlebnis, allmählich die ganze Klaviatur in den Griff zu bekommen, wie sie sich beim Spielen der Solofassung einstellen, sind andererseits auch nicht zu verachten. Aufgrund ihrer einfachen, durchschaubaren Faktur eignen sich beide Fassungen gut zur Erfindung eigener Variationen.
Erfreulicherweise wurden in der vierhändigen Fassung Primo- und Secondo-Part als Partitur untereinander notiert. Das Notenbild ist, wie immer bei Schott, klar und übersichtlich. Nur schade, dass die interessante Vorgeschichte des Werks mit keinem Wort erwähnt wird.
Sigrid Naumann