Menke, Markus

Kon-Plug-in und das „Mozart-Modell“

E-Learning im Instrumentalunterricht

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

„Ich konnte üben, weil ich Lust hatte, in der Freistunde mit meinem Instrument alle Motive einzuspielen.“ – Diese Schüleraussage ist doch wirklich eine Ansage! Die zusätzliche Motivation zum Üben wur­de befördert durch Kon-Plug-in. Doch was ist das? Kurz gefasst: Zusätzlich zum Instrumental- und Gesangsunterricht „face to face“ bietet Kon-Plug-in die technische Möglichkeit eines IT-gestützten Unterrichts. Kon-Plug-in bietet zusätzlich zum Unterrichtsraum in der Musikschule einen virtuellen Unterrichtsraum, den Lehrkräfte und SchülerInnen überall und jederzeit nutzen können.
Grundvoraussetzung für einen gelingenden Unterricht ist und bleibt die reale Begegnung, die Beziehungssituation, die für das Lernen unabdingbar ist! Auch die analoge Klangerfahrung sowie die in unserem Unterricht so wichtige und einzigartige, individuelle und oft hoch komplexe Förderung bleiben ein Muss sowohl im Gruppen- als auch im Einzelunterricht.

Zusätzliches Tool

Kon-Plug-in ist ein zusätzliches Werkzeug, um den Unterricht motivierend und dynamisch zu gestalten. Hier kommt das „Mozart-Modell“ ins Spiel: Reflektieren wir für einen kurzen Moment Charles Rosens Analyse der Werke Mozarts.1 Rosen liefert eine überzeugende Darstellung der Motivtechnik im kompositorischen Schaffen Mozarts: Wiederkehr, Erweiterung, Reihung von Motiven, dieser kleinen, musikalisch sinnstiftenden Einheiten, lassen die Werke für HörerInnen wie InterpretInnen eindrucksvoll, konsistent, vielschichtig, klar und nachvollziehbar werden. Der durch Kon-Plug-in erweiterte Unterricht nutzt die motivische Struktur von Musik. Kleine, sinnvolle Einheiten werden zu einer Aufga­be mit überschaubarem Spannungs­bogen – vor allem überschaubar zu erarbeiten.
Der traditionelle Instrumental- und Gesangsunterricht ist meist im Wochenturnus organisiert. Glücklich sind wir ja schon, wenn zwei Unterrichtseinheiten pro Woche mit einer Schülerin oder einem Schüler möglich sind. Unsere Aufgabenstellung richtet sich natürlich nach den Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler: Welche musikalischen Einheiten können sie in der Zeit zwischen den Unterrichtsstunden bearbeiten? Hierbei spielen Übezeit und Fleiß, die verbleibenden Möglichkeiten neben Schule, Sport und weiteren Verpflichtungen eine wesentliche Rolle. Die Selbstverantwortlichkeit der Schülerinnen und Schüler wollen wir natürlich motivierend unterstützen. Das zu erarbeitende musikalische Material muss einen sinnvollen und Freude bereitenden Spannungs­bogen in sich tragen. Und hier kommt der Knackpunkt: Der Herausforderung, sich die Musik durch Praxis anzueignen, stehen die gerade erwähnten Hindernisse entgegen. „Ich konnte nicht üben, weil…“ – diesen Satz kennen wir eben alle nur zu gut.

Überschaubare Aufgabe

Zurück zum „Mozart-Modell“: Stellen wir uns nun vor, wir können uns im Unterricht auf einen kleineren Spannungsbogen konzentrieren. Ein Motiv, seine Erscheinungsform, Änderungen, Erweiterungen, das Motiv in unterschiedlichen Tonarten, die Wiederkehr in Durchführung und Reprise, alle Gegen- und Begleitstimmen. Scheinbar ein Detail, aber mit erheblicher Dynamik – und zum Üben überschaubar! Jetzt stellen wir uns noch dazu vor, am dritten Tag der Übe-Woche können wir erste Erfolge der Aneignung des Motivs durch unsere Schülerin oder unseren Schüler hören und ein Feedback geben.
Normalerweise ist das nur möglich, wenn es einen Unterrichtstermin gibt. Kon-Plug-in gewährt eine andere Möglichkeit. Das Übe-Ergebnis kann eingespielt werden. Zuhause, in der Schule, irgendwann am Abend – Zeit und Ort spielen keine Rolle. Instrument, Tablet und eine Internetverbindung müssen vorhanden sein. Die Einspielung wird als Datei erfasst. Auf dem Tablet befindet sich ein Sequencing-Programm, welches MIDI- und Audio-Signale verarbeiten kann und die Einspielung gleichzeitig grafisch darstellt. Über die Kamera des Tablets kann auch das entsprechende Video erstellt werden. Das Ergebnis wird an den Server der Musikschule geschickt und steht der Lehrerin oder dem Lehrer zum Download zur Verfügung. In der Online-Unterrichtszeit werden die Lernschritte angehört und angesehen.
Nach zwei oder drei Tagen kann also ein erstes Feedback gegeben werden. Der Unterricht wird durch Kon-Plug-in inten­siviert. Das schnelle Feedback motiviert Schülerinnen und Schüler, es entsteht ein Kommunikationsprozess, der hilft, die eigentlich (zu) lange Woche bis zur nächsten Unterrichtsstunde zu unterteilen.

Online lernen mit anderen

Dieser Prozess ist nichts unbedingt Neues. Gerade in der populären Musik arbeiten MusikerInnen in Bands schon lange mit der Möglichkeit, sich klingendes Material zu senden und daran orts- und zeitunabhängig gemeinsam zu arbeiten. Und genau hier liegt ein erhebliches Potenzial: Das eingespielte musikalische Ergebnis steht nicht nur den Lehrpersonen zur Verfügung. Die Musikschule kann mit einer E-Learning-Umgebung wie Kon-Plug-in eine Platt­form vorhalten, auf die auch Schülerinnen und Schüler zugreifen können. Die Lehrkräfte können so die SchülerInnen vernetzen, die entsprechende Stimmen ­eines Werks einstudieren, es kann untereinander geprobt und auf Begleitstimmen zugegriffen werden.
So können neue Ensembles und Arrangements entstehen, weil gerade diese oder jene Schüler- und Instrumentengruppe an einem Werk interessiert ist. Wer regel­mäßig Ensemble-Proben organisiert, kann ein Lied davon singen, wie eng die zur Ver­fügung stehenden Zeitfenster geworden sind. Kon-Plug-in kann zumindest ­einen Beitrag dazu leisten, den Sinn für das Zusammenspiel zu wecken. Es wird attraktiv, seine Stimme über die Online-Platt­form mit anderen Stimmen zusammenzuführen.
Bleiben wir beim Motiv-Material. Hier kann kreatives Potenzial der SchülerInnen geweckt werden. Motive bearbeiten, neue eigene musikalische Weiterentwicklungen kreieren: Gekoppelt mit einem Notensatz-Programm bildet der Sequencer Kompo­sitionsansätze ab. Lerninhalte aus dem Theorieunterricht bekommen ganz praktischen Nutzen, die Motive werden wie in Mozarts Werken zu Puzzleteilen, die unsere Schülerinnen und Schüler dazu anregen, sich kreativ mit dem Werk zu beschäftigen. Das Kennen der gespielten Musik bekommt einen ganz neuen Stellenwert.

Attraktive neue Medien

Kon-Plug-in nutzt selbstverständlich auch und gerade die Attraktivität neuer Medien in unseren Schülerkreisen. Ohne Smart­phone geht nicht mehr viel, mit Smart­phone ist es oft nervig. Wir drehen den Spieß um: Wir nutzen gemeinsam mit unseren SchülerInnen die Technik und machen Musik, Instrumentalspiel und Gesang zum Kommunikationsinhalt.
Eine vor Kurzem vorgestellte wissenschaft­liche Begleitstudie über eine zweijährige E-Learning-Pilotphase an sechs Hamburger Schulen benennt beachtenswerte Ergebnisse:2
– Der Sinn für die Nutzung von E-Learning muss klar sein.
– Die technische Ausstattung muss gut handhabbar sein.
– Medienkompetenz muss erhöht werden.
Aus Sicht der Musikschule kann man nun einwenden: Das hat alles nichts mit unserem Instrumental- und Gesangsunterricht, mit Orchestern und Chören zu tun. Aber schon bei Schlagzeugunterricht und Bandproben, erst recht bei Musikproduktionen werden die Einwände leiser.
– Der Sinn von E-Learning ist deutlich: Musik besser erlernbar zu machen, den Übe-Prozess intensiver zu gestalten und begleiten zu können.
– Bei der technischen Ausstattung lassen wir Schülerinnen und Schüler nicht allein: Das Tablet wird zum Leih-Instrument wie Geige oder Fagott.
– Medienkompetenz ist wohl der heikelste Punkt: Wir Lehrkräfte kommen nicht darum herum, uns zu diesem Thema konsequent fortzubilden.

Zusammenarbeit von Schule und Musikschule

Kon-Plug-in ist auch für die Zusammen­arbeit mit Schulmusiker-Kolleginnen und -Kollegen ein zusätzliches Werkzeug. Wie oft müssen InstrumentalschülerInnen Stim­men erarbeiten, die ihrem Leistungsstand nicht gerecht sind, meist darüber liegen. Mittels Kon-Plug-in lässt sich zwischen Schule und Musikschule besser kommunizieren, Stimmen lassen sich austauschen, lernstandsgerecht bearbeiten oder Proben-Playback zur Verfügung stellen. Gerade die Vorbereitung von Orchesterkonzerten wird somit verbessert.
Und wir können als Musikschule „dran bleiben“, wenn etwa ein Auslandsaufenthalt den Unterricht jäh unterbricht! Eine gewachsene, vertraute Unterrichtssituation kann via Kon-Plug-in über Kontinente hinweg aufrechterhalten werden. Klangergebnis und der unverstellte Einfluss auf Haltung oder Bewegungsabläufe verlieren an Intensität. Der Unterricht reißt aber nicht ab – und gleichzeitig können die „world-wide-experiences“ unserer Schülerinnen und Schü­ler für die ganze Musikschule spannend sein.

Musikschul- und Unterrichtsorganisation

Selbstverständlich ist Kon-Plug-in ein Unterrichtsangebot, buchbar wie jeder Unterricht und gebührenpflichtig. Damit ist dieses Angebot freiwillig und steht für interessierte Schülerinnen und Schüler bereit. Die Unterrichtszeit wird den Lehrerinnen und Lehrern entsprechend zeitanteilig vergütet. Die zeitliche Flexibilität öffnet wieder Arbeitszeiten, die durch Ganztagsschule und G8 verloren gegangen sind. Sogar der Vormittag steht zur Verfügung, da der Online-Unterricht zeitunabhängig funktioniert. Allerdings gibt es wie für den herkömmlichen Unterricht die Terminvereinbarung, wann der Download der Schülerinnen und Schüler auf dem Server der Musikschule eingegangen sein muss.

Fortbildung

Hätten Sie gedacht, dass Bankgeschäfte eines Tages wie selbstverständlich vom heimischen PC erledigt werden? Wir haben also gelernt, nicht mehr der freundlichen Dame am Schalter unsere Wünsche zu übermitteln, sondern via Zugangsdaten on­line unsere Konten zu verwalten. E-Learning-Angebote verändern die Unterrichtspraxis in der Musikschule. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob ich im Unterrichtsraum meine Geige auspacke und das Notenpult in die richtige Position bringe oder ob ich in der E-Learning-Zeit den PC einschalte und die Übe-Ergebnisse meiner Schülerinnen und Schüler aufrufe und als Audio- und Video-Dateien zur Verfügung habe. Dazu muss ich mit den technischen Geräten vertraut gemacht werden, Software verstehen, Aufnahmetechnik bedienen und auch mein eigenes Spiel reflektieren.

Ausblick

Wir stehen sicher am Anfang, E-Learning in der Musikschule zu nutzen. Modelle wie Kon-Plug-in lassen keinen Zweifel daran: Musikschullehrkräfte werden durch E-Learning nicht überflüssig. Nur wird sich der traditionelle Unterricht verändern.
E-Learning darf auch nicht mit so manchen Internetangeboten verwechselt werden, die suggerieren, ein Instrument könnte erlernt werden, indem SchülerInnen einen Internetkurs absolvieren, ohne je die Lernschritte mit lebendigen Lehrpersonen gegangen zu sein. E-Learning bedeutet auch nicht, mal eben den Theorieunterricht über Multiple-Choice-Fragebögen ab­zuwickeln, die im Netz stehen. Solchen Lernverfahren ist mit großer Skepsis zu begegnen. Der Neurowissenschaftler und „Digital-Kritiker“ Manfred Spitzer hat dazu klare Positionen in Veröffentlichungen wie Vorsicht Bildschirm! und Digitale Demenz formuliert.3
Mit E-Learning nutzen Instrumental- und Gesangslehrkräfte und SchülerInnen gemeinsam die Möglichkeiten, den Unterricht zu intensivieren, das musikalische Material neu zu betrachten, kreativ damit umzugehen und mit Freude die eigenen Fertigkeiten auf dem Instrument zu vervollkommnen. Doch zurück zum Mozart-Modell: „Ich konnte üben, weil…
– …die Aufgabe, sich einem Motiv zu wid­men, überschaubar war;
– …ich schnell ein Feedback bekommen habe;
– …ich mit Hilfe des Programms auf dem Tablet mit der Musik und meiner Einspielung spielen konnte –
– …und außerdem meine Freunde gerade einen Groove für Schlagzeug zu meinem Stück hochgeladen haben.“

1 Charles Rosen: Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven, Bärenreiter, Kassel 62006.
2 „BYOD – Start in die nächste Generation. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Evaluation des Pilotprojekts“, www.hamburg.de/contentblob/7288404/bc43d4c90c2313ad76667d651fbc90e9/data/byod.pdf (Stand: 6.12.2016).
3 Manfred Spitzer: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft, dtv, München 2006; ders.: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, Droemer, München 2012.

Hamburgs Kulturbehörde unterstützt im Rahmen ihrer E-Culture-Initiative die Entwicklung und Einführung von Kon-Plug-in am Hamburger Konservatorium mit zusätzlichen Ressourcen.