© JeKi Hamburg

Menke, Markus

Zwei Jahre intensives Musizieren

JeKi Hamburg – Glücksfall und Exportschlager

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Grundschule „An der Burgweide“ im Schatten der Hochhäuser, Kirchdorf-Süd. Es ist JeKi-Tag. Normalerweise finden die hier lebenden Kinder nicht so einfach den Weg zu einem Instrument. Da ist es schon ein schönes Erlebnis, alle Kinder der dritten und vierten Klassenstufen mit Instrumentenkoffern zu den JeKi-Räumen laufen zu sehen.

Hospitation in der Harfengruppe: Sechs Mädchen auf bunten, kniehohen Sitzkissen halten Keltische Harfen vor sich. Pachelbel-Kanon, zwei Durchläufe der bekannten Basslinie zusammen mit der Harfenlehrerin, dann wendet sie sich den Besuchern zu: „Die können das jetzt alleine, jede Schülerin wird auch eine Improvisa­tion spielen.“ Danach die Ode an die Freude. Schülerinnen, die in der zurückliegenden Stunde nicht dabei waren, bekommen von den anderen gezeigt, was sie spielen müssen. Das alles ist erstaunlich. Die Lehrerin gibt ehrlich zu, wie aufgeregt sie selbst wegen der Hospitation sei. Nach der Harfenstunde werden die sorgsam verpackten Instrumente auf dem Gang sehr schnell zu „Verteidigungswaffen“ gegen Jungs mit dummen Sprüchen.
Schnitt. Congress Centrum Hamburg – JeKi-Jahreskonzert: knapp 3000 Menschen im Publikum, Familien mit Großeltern und Kindern aus allen Stadtteilen Hamburgs. Es ist mucksmäuschenstill. Auf Bühne und Großbildleinwand sind Scheinwerfer und Kameras auf vier Mädchen gerichtet. Sie sitzen auf bunten, kniehohen Sitzkissen und halten Keltische Harfen vor sich. Zwei durften wegen der Filmaufnahmen nicht mitspielen. Pachelbel-Kanon. Konzentration. Ein Durchlauf der bekannten Basslinie zusammen mit der Lehrerin, danach machen sie alleine weiter und jede der jungen Musikerinnen spielt eine Impro­visation. Schlussakkord. Stille. Und dann dieser begeisterte Applaus, den wir alle kennen nach einem großartigen Konzerterlebnis.1 Und es war nicht der einzige an jenem Abend im Jahr 2013 beim zweiten JeKi-Jahreskonzert. Ebenso hätte der Auftritt der Percussiongruppe einer Förderschule beschrieben werden können. Nach dem Solo der Beatboxer stand die Halle vor Begeisterung Kopf.
Am Ende dann das gemeinsame JeKi-Lied: „Singt doch einfach mit, passt gut auf, wir singen es euch vor.“2 250 Kinder musizieren mit ihren Instrumentallehrerinnen auf der Bühne – und der ganze Saal singt mit.

Regulärer JeKi-Unterricht für alle Kinder am Vormittag

Wie konnte das geschehen und geschieht es immer wieder, auch im Jahr 2016? Seit die JeKi-Idee im Schuljahr 2009/10 aus Nordrhein-Westfalen kommend auch in Hamburg Fuß gefasst hat, ist der Instrumentalunterricht an 62 Grundschulen regulärer Unterricht am Vormittag. Für alle Kinder, wie Mathe oder Deutsch! Weitere acht Schulen werden im JeKi-Programm der Hochschule für Musik und Theater betreut. Die 200 Grundschulen Hamburgs konnten sich für die Teilnahme an JeKi bewerben. Sie mussten sich verpflichten, in ihrem Musikprofil die Grundlagen für JeKi zu schaffen. Heute nehmen jedes Jahr 10000 Kinder am Programm teil. Bei der Auswahl der JeKi-Schulen wurde auf eine breite regionale Streuung geachtet. Schulen mit soziokulturellem Entwicklungs­bedarf wurden verstärkt berücksichtigt.

Jahrgang 1: Grundmusikalisierung
Der Musikunterricht entwickelt allgemeine musikalische Fähigkeiten der Kinder und legt die Grundlagen für das Erlernen eines Instruments. Die Freude am Musizieren und das spielerische Erleben stehen im Vordergrund. Alle Aspekte des geltenden Rahmenplans werden berücksichtigt.

Jahrgang 2: Kennenlernen der Instrumente
Im JeKi-Unterricht bildet die Klasse zwei Gruppen, nun kommen zusätzlich InstrumentalpädagogInnen in die Schulen. Die Schülerinnen und Schüler lernen verschiedene Instrumentengruppen durch spielerisches Erproben kennen, beispielsweise Saiten-, Holzblas-, Blechblas-, Tasten- und Schlaginstrumente. Die Instrumente stehen in der Schule zur Verfügung. Am Ende wählt jedes Kind, welches Instrument es in Klasse 3 und 4 lernen möchte.

Jahrgang 3 und 4: Instrumentalunterricht in Gruppen
Der JeKi-Unterricht findet in Gruppen mit etwa sieben Kindern statt. Die Lehrkräfte sind InstrumentalpädagogInnen, die zusätzlich in die Schulen kommen. Die Schule schafft geeignete Instrumente in Kindergrößen an. Jedes Kind erhält sein Instrument leihweise und kostenlos.

Lehrkräfte und Kosten

Der JeKi-Unterricht wird von erfahrenen Fachlehrkräften erteilt. Dazu arbeitet die Behörde für Schule und Berufsbildung auch mit der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg, dem Hamburger Konservato­rium und mit zahlreichen privaten Musikschulen zusammen. Die Freie und Hansestadt Hamburg finanziert das Programm. Die Instrumente werden kostenlos an die Kinder ausgeliehen. Es werden keine Gebühren für den Unterricht erhoben.
Die Kinder nehmen ihr Instrument zum Üben mit nach Hause. Die Lehrkräfte zeigen den Kindern im Unterricht, was sie zu Hause üben sollen und wie man übt. Dadurch erleben auch die Eltern, welche Lieder in der Schule gespielt werden. Am Ende des Jahres finden Konzerte statt, in denen die JeKi-Kinder ihr Können zeigen. JeKi-Schulorchester fassen die Ergebnisse vieler Gruppen zusammen. In Jahreskonzerten kommen Gruppen aus mehreren Schulen zusammen und musizieren vor einem großen Publikum in einem repräsentativen Konzertsaal.

Programm-Gruppe

JeKi Hamburg hat eine Programm-Gruppe, die im Referat Musik der Schulbehörde angesiedelt ist. Unter der Leitung von Theodor Huß (Fachreferent Musik) wirken Vertreterinnen von Schulmusik, Inst­rumentalmusik und Musikschulen als ständige Ansprechstation. Aufgaben sind die Bereitstellung aller Veröffentlichungen auf der Homepage, regelmäßige Newsletter, Qualitätsentwicklung, Planung von Fort­bildungen und JeKi-Tagen, Unterrichtshospitationen, Konzertbesuche, Jahreskonzert-Planung, Organisation der Koordinatorinnen- und Schulleitungs-Treffen, Ratschlag bei Instrumentenanschaffung, Hilfe für Schulen bei der Personalplanung, Steue­rung von Ressourcen und Personal sowie die Beteiligung am „Forum der musikpädagogischen Kooperationsprogramme in Grundschulen“.
Damit das ambitionierte Programm umgesetzt werden kann, gibt es in jeder Schule eine Koordinationskraft. Sie organisiert das Programm vor Ort, hält den Kontakt zwischen Programm-Gruppe, Schulleitung, schulischen Lehrkräften, Instrumentallehrkräften, Schülerinnen und Schülern und Eltern.
Etwa 190 externe Instrumentallehrkräfte und einige schulische Musiklehrkräfte unterrichten die JeKi-Gruppen. Zu Beginn des Programms war klar, dass sich alle Beteiligten aufeinander zu bewegen müssen. Ein wichtiger Schritt war die Bereitschaft der Schulbehörde in Hamburg, eine auskömmliche Finanzierung und Honorierung der Instrumentallehrkräfte bereitzustellen. Zur Unterrichtsform mit Gruppen zu sieben Kindern und zu den meisten Abläufen gab es noch wenig oder keine Erfahrungen. JeKi-Unterricht bedeutet also Fortbildung. JeKi-Unterricht bedeutet auch, in jeder Stunde mit allen Kindern zu musizieren.
Am 10. Oktober 2015 wurde von der Programm-Gruppe der 10. Hamburger JeKi-Tag veranstaltet. Die JeKi-Tage haben sich zu einer wichtigen Fortbildungssäule entwickelt, an denen die Lehrkräfte und Koordinatorinnen zahlreich teilnehmen. In Kooperation mit der Landesmusikakademie Hamburg werden zusätzlich ganzjährig spezifische Fortbildungen für den JeKi-Unterricht angeboten. Ensembleleitung, Dirigieren, Arrangieren, Organisieren, System Schule: alles Themen, die nicht unbedingt im Studium vorkommen. Gleichzeitig sehen die schulischen Musiklehrkräfte durch die Kompetenz der Instrumentallehrkräfte ihr Instrument im neuen Licht – auch eine Motivation für Fortbildung.
Den Instrumentalunterricht in schulischen Gruppen zu einem gemeinschaftlichen musikalischen Lernen zu machen, ist und bleibt die zentrale Herausforderung des Hamburger JeKi-Programms und gehört auch längerfristig zu den Entwicklungsaufgaben der Instrumentaldidaktik.

Handreichungen

In den Jahren sind praxisbezogene Handreichungen entstanden, die immer wieder in Zusammenarbeit von schulischen Lehrkräften und Instrumentallehrkräften überarbeitet werden:3
– ein ausführliches Papier zu allgemeinen pädagogischen und instrumentenspezifischen Zielen,
– der Methodenratgeber für Unterricht in der Schule,
– das Aktionsmanual Gruppenunterricht
– und der Präsentationsbaukasten.
Außerdem entsteht ein ständig wachsender Fundus an Noten, die sich für den JeKi-Unterricht als besonders geeignet erwiesen haben.4

Konzerte

120 Schulkonzerte oder schulübergreifende Regional- und Jahreskonzerte pro Schuljahr sind die Höhepunkte. Die unterschiedlichsten Formate finden hier Berücksichtigung. Es beginnt bei Instrumentalgruppen, die einander vorspielen, JeKi-Klassenstufen, die für die Schulöffentlichkeit musizieren bis hin zu oben beschriebenen Regional- oder Jahreskonzerten. In großen Konzertsälen treffen sich die Inst­rumentalgruppen aus acht bis zwölf Schulen mit ihren jeweiligen Beiträgen und zum gemeinsamen Musizieren bis hin zur Sinfonieorchesterstärke.
Konzertanten Charakter haben auch die Instrumententage. Gitarrengruppen oder Percussiongruppen, Gruppen von Tasteninstrumenten, Bläsern oder Streichern werden instrumentenhomogen eingeladen, einander in einem großen Konzertsaal vorzuspielen, erhalten aber auch in der Vorbereitung Werke, die dann gemeinsam am Instrumententag geprobt und gemeinsam musiziert werden. Hinzu kommen stiftungsfinanzierte Konzerte für die JeKi-Kinder mit Profi-Ensembles in Schulen

Wie geht es weiter?

JeKi endet mit der Grundschulzeit. Doch viele weiterführende Schulen haben au­ßer­unterrichtliche musikalische Angebote, etliche haben ein ausgeprägtes musisches Profil mit erweitertem Musikunterricht, Streicher- oder Bläserklassen. Der JeKi-Unterricht ist auf Anschlussfähigkeit ausgelegt. Also besteht die Aufgabe darin, dass Programme in Stadtteilschulen und Gymnasien bewusst JeKi-Kinder aufnehmen und ihnen die Möglichkeit geben, ihr Instrumentalspiel weiterzuentwickeln. Mu­sikschulen und freie Instrumentallehrkräfte sind in Hamburg offen für die Kinder, die durch JeKi das buchstäbliche Feuer gefangen haben. Staatliche Jugendmusikschule und Hamburger Konservatorium stellen für diese Kinder Plätze bereit, deren Kosten sozial gestaffelt sind oder sogar ganz als Stipendium von Paten übernommen werden. Für eine erfolgreiche Fortführung des Unterrichts ist ganz besonders das Engagement der Instrumentallehrkräfte gefragt. Sie können vor allem die Eltern überzeugen, ihre Kinder weiter zu unterstützen. Und am besten motivieren sowieso die Konzerterlebnisse!
Hospitation in der Trompetengruppe in der Schule Arnkielstraße im quirligen Stadtteil Eimsbüttel. Drei Jungs, vier Mädchen, vierte Klassenstufe. Die Noten werden vom Laptop des Trompetenlehrers auf das Smartboard projiziert, es gibt vier nach Schwierigkeitsgrad differenzierte Stimmen. Ein türkischer und ein pakistanischer Junge legen mit dem neuen Lied los. Frage des Beobachters: „Habt ihr auch noch anderswo Trompetenunterricht?“ Antwort unisono: „Wir spielen Trompete nur hier in JeKi, aber wir lieben unsere Trompete.“
Auch über die Landesgrenzen hinaus findet JeKi Interesse: Nach zwei Besuchen von Leitern und Lehrkräften aus dänischen Musikschulen wurde im Februar 2016 ein erstes dänisches Projekt an der Hornbaek Skole in der Region Helsingör gestartet. Der Titel dort: „Alle Spiller Instrument“. Augenöffner waren nach Aussage der dänischen Kollegen die Unterrichtsbesuche in Hamburger JeKi-Schulen und die Erkenntnis: Ja, es geht, auch in einer Gruppe ist sinnvoller Instrumentalunterricht möglich.
JeKi Hamburg hat stabile Säulen: Schulverwaltung, Finanzierung, Organisation, Schule, Musikschule, Konservatorium, Inst­rumentallehrkräfte, Fortbildung, private Förderer. In Zeiten von Ganztagsschule und einer Vielfalt von Angeboten werden alle Kinder einer JeKi-Schule zwei Jahre erreicht, um intensiv zu musizieren. Das klappt nicht immer wie im Bilderbuch, hat aber großes Potenzial, Kinder nachhaltig für ihr Instrument zu begeistern. Musikschulen standen dem Anfangsgruppenunterricht zunächst skeptisch gegenüber. Nach sechs Jahren Erfahrung in Hamburg steht der Kommentar eines Instrumentallehrers als zusätzliche Stimme im Chor der Instrumentalpädagogik: „Mir macht der Gruppenunterricht inzwischen viel mehr Spaß als dieser Einzelunterricht.“

1 www.youtube.com/watch?v=KWpxlIXJNOo
2 www.youtube.com/watch?v=uEbqy9d5Vks
3 http://bildungsserver.hamburg.de/jeki/unterricht
4 http://bildungsserver.hamburg.de/jeki-noten