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Dahlhaus, Bernd

Sind das wirklich wir?

Gedanken zum Berufsbild anhand einer Ausschreibung für eine Musikschullehrerstelle

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , Seite 44

Wer sind wir – und vor allem: Wer wollen wir sein? Bernd Dahlhaus ­diskutiert anhand des Anforderungs­profils einer Stellenausschreibung, was das Berufsbild von Musik(schul)­pädagogInnen im Kern ausmacht.

Jede Stellenausschreibung ist ein kleiner Sieg. Ein Sieg in einer Diaspora musikalischer Bildung, ein Sieg über zupfende oder blasende Scharlatanerie – und ein kleiner Sieg über drohende prekäre Verhältnisse. An jeder Stel­lenausschreibung nährt sich unsere Hoffnung, dass „die Anderen“ die hohe Bedeutung des Musizierens endlich anerkennen und in Form von TVöD 9 die Begleitmusik auf dem Martinsumzug, Persönlichkeitsentwicklung aller Lernenden, einen vorderen Platz im „Jugend musiziert“-Preisträger-Ranking und den Fortbestand des musikkulturellen Mensch­seins insgesamt weiter ermöglichen.
Doch in die Freuden der kleinen Siege mischen sich auch Ernüchterung und Besorgnis, wenn man sich so manche Ausschreibung für Musikschullehrerstellen genauer anschaut. Natürlich ist uns bewusst, dass auch Stellenbesetzungen in Kommunen bestimmten Spielregeln unterliegen: den offenen, bekannten Spielregeln – nämlich den Vorschriften kommunaler Verwaltung – und den verdeckten, unausgesprochenen – wie dem Phä­nomen „Vitamin B“ mit dem schon zuvor feststehenden Wunschkandidaten. Mit diesen Spielregeln sind bestimmte Muster, Prozeduren sowie die üblichen Formulierungen in Ausschreibungstexten verbunden, so beispielsweise die Erwartungshaltung an zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Teamfähigkeit, kommunikative Kompetenzen und Selbstorganisation (Auslastungskontrolle, Stundenplangestaltung, Gruppenbildung, Veranstaltungsplanung etc.)“.1 Welcher Musikschulträger erwartet das heute nicht von einem neuen Mitarbeiter?
Aussagekräftiger ist ein sogenanntes Anforderungsprofil, das gelegentlich Stellenausschreibungen ergänzt. Es handelt sich dabei um ein Instrument des Personalmanagements, welches aus Sicht des Arbeitgebers die notwendigen Fähigkeiten für die Stelle detailliert benennt sowie jeweils den Grad an Wichtigkeit für die Berufspraxis einstuft.

Von „unverzichtbar“ bis „nicht erforderlich“

Meinen folgenden Überlegungen liegt ein ext­remes Beispiel zugrunde, nämlich die bereits zitierte Ausschreibung2 einer Stadt im nördlichen Ruhrgebiet, die für ihre Musikschule „zur Sicherung und Weiterentwicklung des Unterrichtsangebots […] eine Lehrkraft mit Hauptfach Gitarre oder Klavier (auch Keyboard) mit beliebigem Nebenfach im Umfang von 30/30 (ganze Stelle)“ sucht. Der Ausschreibung dieser unbefristeten Vollzeitstelle ist ein Anforderungsprofil beigefügt, in dem anhand von 29 Kriterien in der Ausprägung von „5 = unverzichtbar“ bis „1 = nicht erforderlich“ die Anforderungen der Tätigkeit aufgeschlüsselt werden.
Studiert man die Verteilung der Kreuze in diesem Anforderungsprofil, führt dies zu beängstigenden Erkenntnissen: beängstigend deshalb, weil sich darin letztlich eine Bedrohung für unseren Beruf zeigt. Kurz gefasst wird eine vielseitig einsetzbare Gitarren- oder Klavierlehrperson gesucht, welche die vorgegebenen Tätigkeitsfelder kompetent bedient und die Lehraufgaben souverän erledigt. Die Lehrkraft ist ihrem Arbeitgeber gegenüber verantwortungsbewusst, organisiert eigeninitiativ und zuverlässig ihren Job und sich selbst und ist konstitutionell quasi übermenschlich widerstandsfähig gegenüber jeder Art von Stress. Sie fügt sich gut ins Team ein, eckt nicht an und funktioniert insgesamt so, dass der Betriebsablauf möglichst nicht gestört wird. Sogenannte „Führungskompetenzen“ braucht diese Lehrkraft allerdings nicht zu besitzen, auch keine Fähigkeiten zum „geschlechtergerechte[n] Verhalten“ oder „Innovations- und Veränderungskompetenz“, weil dies alles, so muss vermutet werden, ausschließlich Aufgabe der Führungskraft, also des Musikschulleiters oder der -leiterin ist. Des Weiteren sind laut Anforderungsprofil folgende Fähigkeiten zwar „wichtig“:
– „Auffassungsgabe – Fähigkeit, Informationen zu verstehen und Probleme zu begreifen“
– „Lernfähigkeit/-bereitschaft – Bereitschaft zur aktiven Vertiefung und Erweiterung von Kenntnissen“
– „Ausdrucksfähigkeit – Fähigkeit, dem Verständnis des Adressaten und dem Zweck der Äußerung angemessen schriftlich und mündlich zu formulieren“
– „Konflikt-/Kritikfähigkeit – Fähigkeit, sich in Konflikte einzubringen, produktiv zur Lösung beizutragen und Feedback als Voraus­setzung für stetiges Lernen zu begreifen“.
Aber aus Sicht des Arbeitgebers für einen Mit­arbeiter auch nicht so wichtig, dass es zu mehr als der Mittelposition gereicht hätte.
Nun kann man als stellensuchende MusikschullehrerIn natürlich froh sein über jede „weniger wichtige“ und erst recht über jede „nicht erforderliche“ (außermusikalische) Fähigkeitsanforderung und sich bemühen, im Bewerbungsanschreiben die persönliche Eignung im Hinblick auf die anderen, „unverzichtbaren“ Fähigkeiten überzeugend darzustellen. Oder man nimmt Anforderungsprofile von vornherein nicht ernst, weil die Dringlichkeit einer Festanstellung jede weitere Überlegung zweitrangig erscheinen lässt.

Berufsbild laut ­Anforderungsprofil?

Ob nun ein Bewerber infolge einer zutreffenden, einer zugeschriebenen oder einer eingebildeten Passung wirklich für die Tätigkeit ge­eignet ist (das heißt im Laufe der folgenden zehn bis 35 Berufsjahre gesund, zufrieden und erfolgreich bleiben wird), soll hier nicht die Frage sein. Auch sollen hier nicht die Personalverantwortlichen für diese Art Stellenbesetzungsverfahren kritisiert werden. Entscheidend ist stattdessen die Frage, wie wir als Berufsgemeinschaft mit dem Berufsbild,3 das sich in diesem Anforderungsprofil zeigt, umgehen wollen.

1 Die Formulierung war Teil einer Ausschreibung einer nordrheinwestfälischen Stadt in den ersten Monaten des Jahres 2018.
2 Die Wahl dieser Ausschreibung und des zugehörigen Anforderungsprofils beansprucht keine Repräsentati­vität. Erkenntnisreich wäre eine umfassendere Untersuchung von Stellenausschreibungen für Musikschullehrkräfte in Bezug auf die im Weiteren erläuterten Fragen.
3 Die Öffentlichkeit unterscheidet in ihren Fähigkeits­zuschreibungen nicht zwischen Musikschullehrer und Privatmusiklehrer, deshalb sind die nachfolgenden Überlegungen auch für Privatmusiklehrkräfte relevant.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2018.