© Tanja M. Marotzke

Gerland, Juliane und Volker

Bildungschancen fördern

Das Programm MusikLeben 2 des Verbands deutscher Musikschulen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Das Programm MusikLeben 2 soll lokale Bündnisse für Bildung anregen, damit bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Potenziale und Ressourcen unterstützt werden. Die Musikschulen vor Ort können so mit erheblichen Fördermitteln des Bundes in Bereichen wirksam werden, wo musikalische Bildung zwar sehr sinnvoll, ohne zusätzliche Hilfe aber schwer finanzierbar ist. Beispiel Dortmund: Dort ist ein besonderes Bündnis entstanden, das ein dring­liches Problem aufgreift und die Musikschule damit in einem bildungs- und gesell­schaftspolitisch hochrelevanten Arbeitsfeld positioniert.

Das Problem

Der Übergang von der Kita zur Grundschule stellt für jedes Kind und seine Familie einen bedeutsamen Einschnitt dar. Wege, Zeitabläufe, Rituale, Bezugspersonen, Peergroup: Alles kann einer mehr oder weniger starken Veränderung unterzogen sein. Das unterschiedliche Selbstverständnis von Kita und Schule führt zu unterschiedlichen Welten, in denen sich Kinder und Eltern neu orientieren und zurechtfinden müssen. „Lernen“ bedeutet in der Kita die Förderung von individuellen Aneigungsprozessen in einer schrittweise zu erobernden (Um-)Welt, während die Schule stärker durch Lehrpläne und Kompetenzerwartungen geprägt ist. Das bestimmt die unterschiedlichen Spielregeln, ebenso wie Ziele und Erwartungen, mit denen die Kinder konfrontiert werden.
Die Bewältigung dieses Übergangs kann durchaus positiv als Entwicklungsaufgabe begriffen werden, an der Kinder wachsen; aber eben nur, wenn sie erfolgreich bewältigt wird. Die unterstützende Begleitung der Transition, also des Übergangs von der Kita zur Grundschule, ist deshalb bereits Gegenstand vielfältiger, häufig auch gemein­samer Bemühungen beider Seiten.
Aktuelle Studien zeigen, dass die Bildungs­chancen von Kindern durch die soziale La­ge und Bildung der Eltern bestimmt werden. Auch die mit der Transition von Kita zu Grundschule verbundene Entwicklungsleistung hängt stark davon ab, ob die Eltern diesen Prozess sinnvoll unterstützen können. Besonders schwierig ist die Lage für Familien, die noch nicht lange in Deutschland leben. Sprachschwierigkeiten und blo­ckierte Zugänge zu Bildung in den Heimat­ländern erschweren die Orientierung in un­serem Bildungssystem und stehen gleichzeitig einer wirksamen familiären Unterstützung der Kinder auf ihrem Weg durch die Bildungsinstitutionen entgegen.
Hier setzt das Projekt Transition und Musik (TRANSI MUS) an und versucht, zusätzliche musikbezogene Brücken zwischen Kita und Grundschule zu bauen, die insbe­sondere bildungsbenachteiligten Kindern ihren Weg erleichtern sollen.

Der Sozialraum

Das Projekt ist im Dortmunder Stadtbezirk Innenstadt-Nord verortet. Dort ist auch das zentrale Gebäude der Musikschule. Die Innenstadt-Nord ist mit ca. 60000 EinwohnerInnen der bevölkerungsreichste Stadtbezirk Dortmunds. Zuwanderungen aus dem Ausland, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, haben entscheidend zum Zuwachs beigetragen.
Der Stadtbezirk weist die höchste Zahl an SGB-II-LeistungsempfängerInnen (über 30 Prozent) und mit 24,1 Prozent die höchste Arbeitslosenquote auf. Der Ausländeranteil (48,5 Prozent) übersteigt den der Gesamtstadt (16,3 Prozent) um das Dreifache. 70,4 Prozent der dort lebenden Personen haben eine Zuwanderungsgeschichte.

Das Projekt

Initiiert wurde das Projekt durch die Professur für Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern an der Fachhochschule Bielefeld. Für Kinder, die aufgrund ihrer persönlichen oder familiär-strukturellen Voraussetzungen besondere Unterstützung zur Entwicklung erfolgreicher Bildungsbiografien benötigen, können Brüche an der Nahtstelle Kita/Grundschule besonders gravierende negative Auswirkungen haben. Das Projekt vernetzt deshalb Kitas und Grundschulen, die im gleichen Sozialraum liegen, um gezielt Übergänge zu erleichtern.
Die Musikschule Dortmund nutzt mit ihren BündnispartnerInnen die Möglichkeiten musikalisch-künstlerischen Handelns bzw. künstlerisch-ästhetischer Bildung, um mit musikalischen Mitteln eine gelungene Transition zwischen Kita und Grundschule zu unterstützen. Gerade musikalisches Han­deln ist in besonderer Weise geeignet, auf gender- und kultursensibler Grundlage in Sozialräumen mit besonderen Herausforderungen soziale, kulturelle und ethnische Differenzen zu überbrücken.
Konkret sollen Inhalte und Methoden der musikalischen Angebote für die Vorschulkinder in der Kita mit denen im Betreuungsbereich des Ganztags und dem ersten JeKits-Jahr so abgestimmt werden, dass die Kinder nach dem Wechsel in die Grundschule die Kontinuität ihrer musikalischen Erfahrung als Ressource und Konstante erleben können. In einem ersten Schritt wurden von den beteiligten Fachkräften Lieder, Tänze, Rituale, Spiele und Arbeitsmethoden abgestimmt, die die zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben möglichst auch inhaltlich flankieren.
Ab dem Schuljahr 2018/19 werden zwei Grundschulen und die entsprechenden Kitas, deren Kinder vornehmlich dorthin wechseln, beteiligt sein. Dabei wird angestrebt, dass die Musikschullehrkräfte, die das Angebot in den Kitas durchführen, auch in den Grundschulen tätig werden. Da das Thema Transition an vielen Orten auf der Agenda steht, könnte sich aus diesem Projekt auch – über den konkreten Nutzen für die beteiligten Kinder hinaus – ein übertragbares Modell entwickeln lassen.

Das lokale Bündnis

– Das Lehrgebiet Musik in kindheitspädagogischen und sozialen Handlungsfeldern am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld koordiniert die inhaltliche Arbeit zur Entwicklung der konkreten Inhalte von TRANSI MUS und unterstützt die weitere Konzeptionsentwicklung. Damit wird sichergestellt, dass die Ergebnisse entsprechend gesichtet und gesichert werden.
– Die Musikschule Dortmund stellt die Lehrkräfte für die Arbeit in den Kitas und im Betreuungsbereich des Ganztags der be­teiligten Grundschulen. Sie koordiniert das Projekt auf inhaltlicher, finanzieller und administrativer Ebene.
– Die beteiligten Kitas und Familienzent­ren nehmen mit ihrem pädagogischen Personal an der Entwicklung der konkreten Inhalte für TRANSI MUS teil. Sie sorgen dafür, dass die musikalischen Veranstaltungen für die 4- bis 6-jährigen Kinder in ihren Räumlichkeiten stattfinden können oder organisieren den Weg zur Musikschule. Sie greifen die Inhalte zur Vertiefung während der Woche auf.
– Die beteiligten Grundschulen nehmen mit Lehrkräften und/oder pädagogischen Fachkräften des Betreuungsbereichs am Prozess der inhaltlichen Abstimmung teil. Sie organisieren das musikalische Angebot zur Bildung einer Brücke Kita/Grundschule im Betreuungsbereich des Ganztags. Gemeinsam mit den Lehrkräften der Musikschule greifen sie die Inhalte von TRANSI MUS in JeKits auf.
– Die Technische Universität Dortmund, Fachgebiet Musik und Bewegung in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung, rekrutiert aus dem Kreis der angehenden Reha-PädagogInnen InteressentInnen für eine Mitarbeit im Projekt als HelferInnen und betreut diese.
– Der Förderverein der Musikschule Dortmund unterstützt die Übergänge zum Angebot der Musikschule durch Beratung über Ermäßigungsmöglichkeiten und die Gewährung von Stipendien. Als von Ehrenamtlichen getragener Verein schafft er eine zusätzliche Brücke zu den Eltern der teilnehmenden Kinder.

Mitmachen lohnt sich – für alle

Die bei MusikLeben 2 geförderten Bündnisse und Projekte haben bezüglich Ausrichtung, Dauer und Aufwand sehr unterschiedliche Ausprägung. Es muss also nicht immer so aufwändig sein wie in Dortmund. Die Projektideen sind vielfältig, orientieren sich teilweise an bewährten Konzepten, erweitern aber häufig auch den bisherigen konzeptionellen und organisatorischen Rahmen. Musikalische Ferienfreizeiten, Angebote in Flüchtlingsunterkünften, multikulturelle Orchester, Musicals in Förderschulen, Bands für straffällige Jugendliche: Die Vielfalt der Ideen, die der VdM-Jury vorgelegt werden, zeugt von der konzeptionellen Vitalität der Musikschulen. Besonderer Anreiz: Es sind keine Eigenmittel erforderlich. Leider können aus strukturellen Gründen nur Honorarmittel und nicht anteilige Personalkosten von angestellten Lehrkräften bezuschusst werden. Die Höhe der möglichen Honorar­sätze bewegt sich aber auf einem durchaus akzeptablen Niveau.
Jede Musikschule, die sich beteiligt, zeigt, wie sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird, denn jedes Kind, das durch MusikLeben 2 seine Bildungschancen verbessern kann, gewinnt – für sich persönlich und als Teil unserer gesellschaftlichen Zukunft.