Cui, César

Orientale

für Violoncello und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2019
erschienen in: üben & musizieren 5/2019 , Seite 66

Er war Teil des „mächtigen Häufleins“, jener Gruppe russischer Komponisten, die ab den 1860er Jahren für ein nationales, von westlichen Vorbildern unabhängiges Musikidiom kämpften. Verglichen mit der Wirkmächtigkeit seiner vier Kollegen – Balakirew, Borodin, Rimski-Korsakow und Mussorgski – hinterließ César Cui (1835-1918) kompositorisch nur wenige Spuren. Sein Œuvre ist nahezu vergessen. Umso einflussreicher war Cui als Musikkritiker: Er propagierte die Werke seiner Freunde, schleuderte Blitze gegen Tschaikows­ky, vollzog allerdings auch manch überraschende Wendung, etwa mit ­einem Verriss der Erstaufführung von Mussorgskys Boris Godunow.
Und auch in seinen Kompositionen zeigt sich bisweilen eine widersprüchliche Haltung, die von seiner Herkunft herrührt: Er war der Sohn eines französischen Offiziers und einer Litauerin und verspürte, wie er selbst ­notierte, „den Sinn für russische Musik nicht in meinen Adern“. Insbesondere in seinen instrumentalen Miniaturen zeigt sich allenthalben Cuis Affinität zu westlichen Vorbildern, zu Schumann, Chopin, nicht zuletzt zur Welt der Salonmusik.
In seinem für Violine und Klavier geschriebenen Zyklus Kaléidoscope op. 50 verbindet er Charakterstücke, die von russischer Folklore inspiriert sind, mit Piècen nach der Pariser Mode: Musette, Barcarolle, Valse. Diesem Zyklus entstammt auch Orientale op. 50,9, eine charmante Huldigung an die Welt des vorderen Orients: Vom übermäßigen Sekundschritt wird ­intensiv Gebrauch gemacht, und das Stück ist geprägt durch ­einen charakteristischen Trommelrhythmus von arabischer Diktion.
Die junge österreichisch-schweizerische Cellistin Estelle Revaz hat das Stück für ihr Instrument adaptiert. In dieser Version präsentiert sich Orientale als attraktives, nicht allzu schwieriges (Zugaben-)Stück für fortgeschrittene CellistInnen. Lediglich einmal werden die Töne b’ und as’ in der 6. Lage eingefordert, ansonsten ist der Cellopart im unteren Lagenbereich spielbar. Eine technische Herausforderung stellt die Umsetzung des arabischen Trommelrhythmus dar: Einem dreistimmigen Pizzicato-Akkord auf Zählzeit 1 (des im 6/8-Takt stehenden Stücks) folgt jeweils die rhythmische Grund­figur im Aufstrich-Saltando, zumeist auf der leeren D-Saite, gelegentlich auf dem Ton es. Die elegante, „con morbidezza“ zu spielende Melodie wird zunächst vom Klavier vorgetragen, in der zweiten Periode übernimmt das Cello, das sich dafür vom Trommelrhythmus vorübergehend ver­abschiedet.
Die Fingersatzvorschläge der Herausgeberin sind tadellos, ihrer Empfehlung, den „Morbidezza“-Effekt durch Start auf der D-Saite (in der 5. Lage) zu intensivieren, kann man folgen. Estelle Revaz’ Hinweise für den Unterricht – insbesondere den Wechsel von Pizzicato und Saltando betreffend – zeugen von Sach- und Fachkenntnis. Trotz einiger Übersetzungswackler im Vorwort (der Begriff „Mélopée“ steht für Klagegesang, wie konnte daraus ein „Rezitativ“ werden?) lautet das Fazit: Empfehlung!
Gerhard Anders