© Ralf Baumgarten

Fernholz, Isabel / Alexander Schmidt

Gesund von Anfang an

Prävention musikerspezifischer Erkrankungen im Instrumentalunterricht

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 10

Musikerspezifische Erkrankungen sind gemäß zahlreicher epidemiologischer Studien sehr häufig.1 Ca. 80 Prozent der professionell tätigen Musikerinnen und Musiker entwickeln im Laufe ihrer Berufstätigkeit zumindest ein tätigkeitsbezogenes medizinisches Problem, das die musikalische Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.

Zu den häufigsten Gesundheitsstörungen bei MusikerInnen gehören Schmerzen des Bewegungssystems, zum Beispiel im Rahmen muskuloskelettaler Überlastungssyndrome oder chronischer myofaszialer Schmerzsyndrome, sowie psychische Belastungen und Erkrankungen wie etwa Lampenfieber oder Auftrittsangst und depressive Erkrankungen. Das Spektrum mu­sikerspezifischer Erkrankungen ist darüber hinaus sehr breit und umfasst unter anderem verschiedenartige Sehnenerkrankungen der Hände, neurologische Bewegungsstörungen, Nervenkompressionssyndrome, Hörstörungen, Stimmstörungen bei Sängerinnen und Sängern sowie Erkrankungen der Zähne bei Bläsern.
Zahlreiche Risikofaktoren tragen ursächlich zur Entstehung von Musikererkrankungen bei.2 Hierzu zählen unter anderem körperliche Anforderungen beim Musizieren bis an physiologische Grenzen, die zum Teil körperlich belastende Bau- und Spielweise zahlreicher Instrumente, belastende Bedingungen am Arbeitsplatz sowie hohe psychosoziale Anforderungen im Musikerberuf.
Die Diagnostik und Behandlung erkrankter MusikerInnen sollte aufgrund des breiten Erkrankungsspektrums interdisziplinär erfolgen: neben Fachärzten verschiedener Gebiete auch durch PhysiotherapeutInnen, verschiedene KörpertherapeutInnen, Logo­pädInnen und StimmtherapeutInnen, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen sowie durch Instrumental- oder GesangspädagogInnen. An zahlreichen deutschen Musikhochschulen und medizinischen Uni­kliniken existieren bereits spezialisierte interdisziplinäre Einrichtungen für die Diagnostik, Behandlung und Prävention musikerspezifischer Erkrankungen. Ein Überblick findet sich auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (DGfMM): www.dgfmm.org.
Auch im Instrumentalunterricht spielen musikerspezifische Gesundheitsstörungen eine Rolle. Instrumentalunterricht an einer Musikschule in Deutschland erhielten im Jahr 2017 etwa 1,5 Millionen MusikschülerInnen, von denen ca. 85 Prozent jünger als 18 Jahre waren und die von etwa 37000 Musiklehrkräften unterrichtet wurden (www.miz.org). Junge Musikerinnen und Musiker sind ebenfalls häufig von Gesundheitsstörungen betroffen. So berichten zwischen 68 und 88 Prozent der Musikstudierenden an Musikhochschulen, bereits vor Studienbeginn unter mindestens ei­nem spielbedingten gesundheitlichen Prob­­lem zu leiden.3
Daher ist die Prävention schon von Beginn der musischen Ausbildung an von großer Wichtigkeit und entsprechende Lerninhalte sollten in einen umfassenden Instrumental­unterricht einfließen. Im Folgenden werden klinische Grundlagen und präventive Basismaßnahmen bezüglich der häufigsten Gesundheitsstörungen bei MusikerInnen für den Instrumentalunterricht erläutert sowie abschließend Möglichkeiten der Integration präventiver Angebote in die musische Ausbildung diskutiert.

Prävention muskuloskelettaler Schmerzen und Überlastungen

Zu den häufigsten somatischen Musikerbeschwerden gehören muskuloskelettale Schmerzen,4 die häufig akut im Rahmen von muskuloskelettalen Überlastungssynd­romen (overuse syndroms) auftreten. Je nach Instrument sind dabei schwerpunktmäßig die oberen Extremitäten, der Nacken und der Rücken betroffen. Nicht selten können akute Schmerzen bei MusikerInnen chronifizieren und in eine eigenständige Schmerzerkrankung – das chronische belastungsabhängige myofasziale Schmerzsyndrom – übergehen. Dieses ist charakterisiert durch belastungsabhängige, beim Instrumentalspiel auftretende dumpfe Schmerzen mit zum Teil wechselnder Lokalisation über einen Zeitraum von min­destens sechs Monaten. Schmerzen treten zudem bei zahlreichen weiteren Musikererkrankungen auf wie beispielsweise Entzündungen der Sehnen und Sehnenscheiden der oberen Extremitäten, Schultererkrankungen (z. B. Impingement-Syndrom), bei neuropathischen Schmerzsyndromen sowie Nervenkompressionssyndromen.
Zahlreiche spezifische Risikofaktoren für muskuloskelettale Schmerzen bei MusikerInnen sind bekannt.5 Dazu zählen unter anderem inadäquate körperliche Voraussetzungen (z. B. kleine Hände mit geringer Spannweite bei Pianisten), nicht optimale Ergonomie des Instruments, unphysiologische Haltung oder Technik beim Musizieren, Änderungen oder Fehler im Übeverhalten (z. B. plötzliche Steigerung der Übe­zeit, keine ausreichenden Pausen, zu anspruchsvolles Repertoire) sowie ungünstige Umweltfaktoren (z. B. belastende außermusikalische Aktivitäten). Auch psychi­sche Faktoren wie überhöhte Leistungsansprüche, ein ausgeprägter Perfektionismus oder ein erheblicher Leistungs- und Konkurrenzdruck können eine Rolle spielen.
Pathophysiologisch kommt es bei akuten Schmerzen zu einer lokalen Entzündungsreaktion mit Ausschüttung von schmerz­induzierenden Gewebsmetaboliten. (Meta­boliten sind Substanzen, die als Zwischenstufen oder Abbauprodukte von Stoff­wech­selvorgängen entstehen.) Wenn Schmerzen chronisch werden, spielen Anpassungsprozesse des Nervensystems mit in der Folge dauerhafter Herabsenkung der Schmerzschwellen sowie Übererregbarkeit der Schmerzbahn eine zentrale Rolle.6
Spezifische präventive Maßnahmen zur Vermeidung muskuloskelettaler Schmerzen und Überlastungen bei MusikerInnen, die bereits im Kindesalter geübt und in den Instrumentalunterricht integriert werden können, sind in Tabelle 1 dargestellt.

Prävention von Stress und ­Auftrittsängsten

Zu den häufigsten psychischen Musikerbeschwerden gehören Stress und Auftrittsängste – ungefähr ein Viertel aller BerufsmusikerInnen leiden unter Auftrittsangst. Frauen sind häufiger von Auftrittsangst betroffen, Erkrankungsgipfel liegen in der Pubertät und zu Beginn des Berufslebens.7 Die meisten Auftritte vor Publikum sind mit einer spezifischen physiologischen Erregung bzw. Aufregung (umgangssprachlich als Lampenfieber bezeichnet) verbunden, die durch Aktivierung des sympathischen Nervensystems hervorgerufen wird und für einen guten Auftritt erforderlich ist. Lampenfieber führt unter anderem zu verstärkter Konzentration, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Durchblutung der Muskulatur. Die Aufregung hängt hierbei mit der Aufführungsqualität zusammen (Yerkes-Dodson-Kurve).8 Wird die Aufregung so stark, dass die Leistung nicht mehr abgerufen werden kann und die Aufführungsqualität sinkt, spricht man von Auftrittsangst. Typischerweise manifestiert sich die Auftrittsangst auf physiologischer (Tre­mor, Schwitzen, erhöhter Puls), emotionaler (Angst), kognitiver (negative Gedanken) und Verhaltensebene (Vermeidungsverhalten).
Als spezifische Risikofaktoren für Auftrittsangst gelten ein ängstlich-zwanghafter Persönlichkeitsstil, Perfektionismus, un­günstige Auftrittserfahrungen, ein rigider Erziehungsstil, überhöhte Leistungsansprüche an sich selbst, ein erhöhtes Kont­rollbedürfnis, eine zu starke negative Bewertung von Fehlern, ausgeprägte Selbstkritik sowie eine große Identifikation mit dem Beruf, die sicher auch mit dem frühen „Berufsbeginn“ meist im Kindesalter zu tun hat.9
Spezifische präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Stress und Auftrittsängsten bei MusikerInnen, die bereits im Kindesalter geübt und in den Instrumentalunterricht integriert werden können, sind in Tabelle 2 dargestellt.

Prävention in der musischen Ausbildung

Prävention und Gesundheitsförderung haben in den vergangenen Jahren bei der Ausbildung an Musikhochschulen zunehmende Bedeutung erlangt. So finden sich dort häufig in spezialisierten Bereichen oder Instituten (ein Überblick findet sich auf www.dgfmm.org) Lehrangebote zu wichtigen präventiven Themen wie Ökonomisierung der Spielhaltung und -technik, optimales Üben, regelmäßiges Körper- und Bewegungstraining, Verbesserung der Kör­perwahrnehmung, Entspannungstraining, Stressbalance, Mental- und Auftritts­training sowie Gehörschutz.
Darüber hinaus existieren berufsbegleitende Weiterbildungsangebote für MusikerInnen mit Schwerpunkt Prävention und Gesundheitsförderung, die in Deutschland an der Universität der Künste Berlin und auf Schloss Kapfenburg regelmäßig angeboten werden (www.fit-mit-musik.de).
Aufgrund der oben erwähnten epidemiologischen Befunde zur Häufigkeit von Gesundheitsstörungen bei Musikerinnen und Musikern sollten präventive und gesundheitsfördernde Lerninhalte aber auch an Musikschulen bereits von Beginn der musischen Ausbildung an integriert werden. Hierzu bieten sich Workshops und Präventionskurse für SchülerInnen und Lehrkräfte zu Themen wie Lampenfieber, Üben, Entspannungstechniken oder Körperwahrnehmungsverfahren an. Die Qualifikation und Ernennung interessierter Lehrkräfte zu Gesundheitsbeauftragten, etwa durch Teilnahme an entsprechenden Weiterbildungsangeboten, ist ebenfalls sinnvoll. Eine Vernetzung von Gesundheitsbeauftragten an Musikschulen mit den oben erwähnten spezialisierten Einrichtungen und Bereichen an Musikhochschulen und medizinischen Unikliniken ist langfristig anzustreben, um qualifizierte präventive Lehrangebote und eine optimale Gesundheitsversorgung gewährleisten sowie aktuelle Forschungsergebnisse zügig in den Musikschulalltag integrieren zu können.

1 Ein Überblick findet sich bei Claudia Spahn/Helmut Möller: „Epidemiologie von Musikererkrankungen“, in: Claudia Spahn/Bernhard Richter/Eckart Altenmüller (Hg.): Musikermedizin. Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Erkrankungen, Stuttgart 2010, S. 7.
2 vgl. Alice G. Brandfonbrener: „Epidemiology and risk factors“, in: Raoul Tubiana/Peter C. Ama­dio (Hg.): Medical problems of the instrumentalist musician, London 2000 und Ralph A. Manchester: „Toward better prevention of injuries among performing artists“, in: Medical Problems of Performing Artists 21, 2006, S. 1.
3 vgl. Christine Guptill/Christine Zaza/Stanley Paul: „An occupational study of physical playing-related injuries in college music students“, in: Medical Problems of Performing Artists 15, 2000, S. 86-90 und Claudia Spahn/Bernhard Richter/Ina Zschocke: „Health attitudes, preventive behavior, and playing-related health problems among music students“, in: Medical Problems of Performing Artists 17, 2002, S. 22-28.
4 vgl. Spahn/Möller, a. a. O.
5 vgl. Richard N. Norris/Jan Dommerholt: „Orthopädische Probleme und Rehabilitation bei mus­kuloskelettalen Störungen“, in: Jochen Blum (Hg): Medizinische Probleme bei Musikern, Stuttgart 1995, S. 116-162.
6 vgl. Eckart Altenmüller/Hans-Christian Jabusch: „Neurologie“, in: Claudia Spahn/Bernhard Rich­ter/Eckart Altenmüller (Hg.): Musikermedizin. Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Erkrankungen, Stuttgart 2010, S. 187.
7 Isabel Fernholz/Jennifer Mumm/Jens Plag/Katharina Noeres/Gabriele Rotter/Stefan Willich/And­reas Ströhle/ Anne Berghöfer/Alexander Schmidt: „Performan­ce Anxiety in professional musicians: A systematic review on prevalence, risk factors and clinical treatment effects“, in: Psychological Medicine, 2019 (im Druck).
8 Robert M. Yerkes/John D. Dodson: „The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation“, in: Journal of Comparative Neurology and Psychology 18, 1908, S. 459-482.
9 vgl. Fernholz et al., a. a. O.